Zwischenruf

Georg Plank über die Vielfalt der christlichen Kirchen

Wie amerikanische Kirchen seinen steirischen Horizont erweitert haben erzählt der katholische Theologe Georg Plank. - Gestaltung: Martin Gross

Im Juli 1981 bestieg ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Flugzeug. Es ging in die USA, wo ich ein Jahr als Austauschschüler verbringen wollte. Ich wusste nicht viel von diesem riesigen Land und hatte auch kein inneres Bild, als es hieß, dass ich zu einer Gastfamilie nach North Carolina zugeteilt worden war. Ich wurde in einen Greyhound-Bus gesetzt, und nach 12 Stunden Fahrt kam ich mitten in der Nacht in der Hauptstadt Raleigh an. Beim Verlassen des Busses erschrak ich, als ob jemand mir einen Kübel warmen Wassers ins Gesicht geschüttet hätte. Es hatte schwüle 30 Grad und ich hatte nicht realisiert, dass die kühle Luft im Bus von einer Klimaanlage stammte. So etwas war mir völlig neu.

Solche Überraschungen erlebte ich unzählige in diesem Jahr in der Fremde. Ich war bis dahin unreflektiert davon ausgegangen, dass Menschen, Bräuche und Lebensweisen ähnlich wären wie in meiner Heimat, der Steiermark. So begann ein lebenslanger Weg. Ich kann mich am besten dann entwickeln, wenn ich mich dem anderen, dem Fremden und dem Irritierenden aussetze. Andere Kulturen lösen oft rasche Faszination oder Ablehnung aus, führen zu Begeisterung oder zur Verteufelung. Solche schnellen Reaktionen und Bewertungen verhindern aber ein tieferes Sich-Einlassen, ein mutiges Experimentieren und eine umfassende Lernerfahrung.

In North Carolina ging es über die Alltagskultur hinaus auch um die Vielfalt und Buntheit der Kirchen. Ich wusste gerade einmal, dass es evangelische Christen gab, aber ich hatte keine Ahnung von den mehr als 40 "Churches", die in der Kleinstadt wirkten, wo ich mein Austauschjahr verbrachte. Baptisten, Methodisten, Episcopalians, Presbytheraner, Pfingstkirchen, Orthodoxe, alle möglichen Freikirchen und ja, auch einige wenige Katholiken.

Da North Carolina der Bundesstaat mit dem geringsten Katholikenanteil war, wussten die meisten Amerikaner kaum über meine Religion Bescheid, aber immer mehr meiner Mitschüler und Mitschülerinnen begannen, mich in ihre Kirchen einzuladen. Neugierig geworden, besuchte ich Gottesdienste, Feste, karitative und soziale Aktivitäten und vieles mehr - in weißen und schwarzen, in reichen und armen Kirchen. Manches war auf den ersten Blick befremdend, unverständlich und überfordernd. Mit der Zeit lernte ich, unter die Oberfläche zu schauen. In vielen Gesprächen, wachsenden Beziehungen und auch durch das Studium von Fachliteratur gewann ich nicht nur ein vertieftes Verständnis, sondern entdeckte immer deutlicher, was katholisch Sein am Horizont der vielen anderen Traditionen tatsächlich ausmachte. Wahrscheinlich war ich der einzige in der ganzen Stadt, der einen Großteil der Kirchen live erlebt hatte, denn wie bei uns besuchen die meisten Christen dort ja fast ausschließlich ihre eigene Kirche.

Zurückblickend habe ich dauerhaft von dieser Horizonterweiterung profitiert. Ich lernte das freie Gebet schätzen, die regelmäßige existentielle Bibellektüre und die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe. Ich hörte auf, Emotionalität und Rationalität gegeneinander auszuspielen oder Glaube und politisches Engagement. Als junger Mensch erschreckten mich aber auch manche fundamentalistische, intolerante und selbstgerechte Ausdrucksformen des Christseins in den USA. Diese Schattenseiten des Glaubens halte ich bis heute für eine große Versuchung und reale Gefahr.

Heute ist die Kirchenlandschaft auch im deutschsprachigen Raum konfessionell und kulturell bunter geworden. Immer wieder besuche ich auch bei uns weniger bekannte Kirchen und komme mit Christen ins Gespräch, die sich von den Noch-Großkirchen oft an den Rand gedrängt, nicht ernst genommen oder ignoriert fühlen.

Berufsbedingt beschäftige ich mich intensiv mit Innovationstheorien und begegne da ähnlichen Phänomenen: Innovative Männer und Frauen bewegen sich nicht nur in vertrauten Kreisen, sondern kundschaften in geografisch, geistig und sozial fremden Gegenden. Sie netzwerken mit Kollegen und Kolleginnen aus völlig anderen Bereichen und setzen sich generell mit Menschen auseinander, deren Meinungen, Weltanschauungen oder Lebensentwürfe sie nicht teilen. Sie sind mir Vorbild auf meinem Weg!

Sendereihe