APA/HERBERT PFARRHOFER
Punkt eins
Vom utopischen Sozialexperiment zur Diktatur
18 Jahre in Otto Muehls Kommune
Gast: Karl Iro Goldblat: Bildender Künstler, ehemaliger Kommunarde am Friedrichshof
Moderation: Andreas Obrecht
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4. Jänner 2019, 13:00
"Wie konnte aus einer Jugendbewegung Anfang der Siebzigerjahre ein absolutistischer Hofstaat entstehen, in dem sich hunderte Menschen wie ein Chor einem Dirigenten unterwarfen und den eigenen Willen der Vision ihres Meisters opferten?", fragt sich der bildende Künstler Karl Iro Goldblat in seinem soeben erschienenen Buch, in dem er seine persönlichen Erfahrungen detailreich beschreibt, immer auf der Suche nach rationalen Erklärungen von sozialen Dynamiken, die ihm heute sehr irrational erscheinen. Goldblat skizziert die Flucht vor sich selbst, die er als Zwanzigjähriger in der Kommune angetreten ist. Er hat diese als Möglichkeit wahrgenommen, ein anderer Mensch, ein Weltverbesserer, ein Gesamtkünstler zu werden.
Das, was als egalitäres Experiment beginnt, und auch von Bruno Kreisky unterstützt wird, wandelt sich rasch zu einem auf strenger Ideologie basierenden, hierarchisierten Herrschaftssystem. In diesem werden die sozialen Rollen und auch der soziale Status nach Gutdünken des Meisters Otto Muehl vergeben, aber auch ebenso willkürlich entzogen. Aus dem Angebot der "freien Sexualität" wird der Zwang zur Promiskuität, Homosexualität ist verpönt und deren Ausübung verboten. Auf der utopischen Insel Friedrichshof versucht sich Karl Iro Goldblat, der sich stets zu Männern hingezogen gefühlt hat, eine heterosexuelle Identität zu verpassen um dem rigorosen Kollektivismus gerecht zu werden. Zu den wenigen Regeln, die es zu befolgen gilt, gehören das Verbot körperlicher Gewalt und sexueller Handlungen mit Minderjährigen. Dieses Tabu wird von Otto Muehl gebrochen, weswegen er 1991 zu sieben Jahren Haft verurteilt wird, die er vollständig verbüßt.
Karl Iro Goldblat resümiert, dass es in erster Linie die Person des Aktionskünstlers Otto Muehl war, die auf ihn eine bezwingende und suggestive Macht ausgeübt hat und kritisches Denken, rationale Analyse und das Entdecken einer selbstbewussten sozialen und sexuellen Identität jahrelang verhindert hat. Die Erfüllung des Versprechens eines nicht entfremdeten Lebens ist ausgeblieben, viel lässt sich freilich aus dem gescheiterten Experiment, sowohl auf persönlicher, als auch auf gesellschaftlicher Ebene lernen.
Sind kollektivistische Utopien einer egalitären Gesellschaft zwangsläufig zum Scheitern verurteilt? Wird der Enthusiasmus junger Menschen, neue Erfahrungen zu machen und neue, alternative Lebensmöglichkeiten zu entdecken, immer wieder von neuem ausgenützt? Welche Funktion erfüllt die jeweils gewünscht oder diktierte Form der Sexualität für die Etablierung von Macht und Herrschaft in einer sozialen Gruppe und in der Gesellschaft insgesamt?
Service
Buch:
Als ich von Otto Muehl geheilt werden wollte. Karl Iro Goldblat: Ritter Verlag Klagenfurt, 2018
Sendereihe
Playlist
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: Dmitry Sitkovetsky (Arrangement)
Goldberg Variationen BWV 988
* Variatio 4 (Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Swiss Chamber Orchestra
Länge: 01:08 min
Label: Neos Classics NEOS 30801
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: Dmitry Sitkovetsky (Arrangement)
Goldberg Variationen BWV 988
* Variatio 30_Quodlibet (Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Swiss Chamber Orchestra
Länge: 01:37 min
Label: Neos Classics NEOS 30801
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: Dmitry Sitkovetsky (Arrangement)
Golberg Variationen BWV 988
* Variatio 10 (Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Swiss Chamber Orchestra
Länge: 01:25 min
Label: Neos Classics NEOS 30801
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: Dmitry Sitkovetsky (Arrangement)
Golberg Variationen BWV 988
* Variation 9_Canone alla Terza (Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Swiss Chamber Orchestra
Länge: 02:48 min
Label: Neos Classics NEOS 30801