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Radiokolleg - Juristendeutsch
Über das Verhältnis von Recht und Verständlichkeit (2). Gestaltung: Georg Wimmer
5. Februar 2019, 09:30
Bescheide von Ämtern und Behörden, Verträge für Handys und Versicherungen oder ein Gesetzesparagraf für eine Baubewilligung, den man im Internet abruft. Wer kein
Studium der Rechtswissenschaft absolviert hat, steht solchen Texten oft ratlos gegenüber. Diese Erfahrung hat wohl jeder und jede schon gemacht. Die emotionale Reaktion darauf: Der geübte Leser ärgert sich, weil ihm ein unlesbarer Text vorgelegt wird. Der ungeübte Leser schämt sich. Er glaubt, ihm fehle die Bildung, um eine alltägliche Sache zu verstehen.
Doch warum sind diese Texte so kompliziert geschrieben? Zum Teil liegt es an der veralteten Sprache. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (AGBG) stammt zum Großteil aus dem Jahr 1811. Nach wie vor werden Studierende an den Unis auf dessen antiquierten Ausdrucksweise eingeschworen. Die Bildung langer und bedeutungsschwerer Sätze gilt vielen Juristen als ästhetisch anspruchsvoll. Wie das bei den "Normunterworfenen" - also bei den Bürgerinnen und Bürgern - ankommt, ist nebensächlich. Zum anderen spiegeln sich in den Gesetzen politische Prozesse wider.
Oft werden in letzter Minute Paragrafen umgeschrieben und Gliederungen über den Haufen geworfen. Mitunter sind sich die politischen Parteien auch über das Ziel eines Gesetzes uneins, was sich dann in diffusen Bestimmungen niederschlägt. Und natürlich ist die Materie an sich komplex. Gesetze sollen Gerechtigkeit schaffen und verschiedenste Interessen berücksichtigen.
In vielen Ländern gibt es nun Bestrebungen, Gesetze - und in der Folge auch die Sprache von Ämtern und Behörden - leichter verständlich zu gestalten. In der Schweiz ist seit Jahrzehnten eine gemischte Kommission von Sprachkundigen und Juristen tätig, die auf die Verständlichkeit von neuen Gesetzen achtet. In Österreich gibt es immerhin Ansätze: Ein Grazer Uni-Professor damit begonnen, das AGBG in eine verständliche Form zu bringen. Im Magistrat der Stadt Salzburg haben einzelne Abteilungen ihre Bescheide in eine verständliche Form gebracht. Das Justizministerium hat beim neuen Erwachsenenschutzgesetz Passagen mit Zielgruppen auf die Verständlichkeit hin getestet.
Im schlimmsten Fall ist Sprache Ausdruck von Macht und grenzt Bürgerinnen und Bürger aus. Ein Mensch, der nicht versteht, was der Staat von ihm erwartet und welche Ansprüche er hat, wird sich frustriert abwenden. Somit berührt das Verhältnis von Recht und Verständlichkeit grundlegende Fragen der Demokratie. Dennoch gibt es in Österreich keine starke Lobby für eine verständliche Rechtssprache. Noch immer dominiert die Auffassung, dass jemand, der sich kompliziert ausdrückt, besonders gebildet sein muss. Internationale Experten erwarten, dass noch mindestens 20 Jahre vergehen, bis sich in den Parlamenten und öffentlichen Verwaltungen die Grundregeln der Kommunikation durchsetzen werden. Eine davon lautet: Sprich so komplex wie nötig, um das auszudrücken was du möchtest. Aber sag es so einfach wie möglich.
Service
LITERATUR:
Andreas Baumert: Einfache Sprache. Verständliche Texte schreiben. Spaß am Lesen Verlag, 2018
Ursula Bredel, Christiane Maaß: Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen, Orientierung für die Praxis. Dudenverlag, 2016
Joseph Kimble: Writing for Dollars, Writing to Please. The case for plain language in business, government, and law. Carolina Academic Press, 2012
Benedikt Lutz: Verständlichkeitsforschung transdisziplinär. Vienna University Press, 2015
Michael Schmuck: Deutsch für Juristen. Vom Schwulst zur klaren Formulierung. 4. Auflage. Verlag Dr. Otto Schmidt, 2016