Zwischenruf

Karin Weiler über Alter und Demenz

"Menschenleben stärken". Wie pflegende Menschen die Würde von alten, kranken, dementen Menschen wahren erzählt Sr. Karin Weiler, Mitglied der Schwesternschaft Caritas Socialis. - Gestaltung: Brigitte Krautgartner

Zu Beginn des Einführungskurses für Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung für ehrenamtliche Hospizbegleiter/innen im Kardinal König Haus stelle ich den Teilnehmenden die Frage: Wie stellen Sie sich Ihre letzte Lebensphase vor?

Ich bin nämlich überzeugt, in der Begleitung von Menschen am Lebensende braucht es Menschen, die sich auch mit den eigenen Bedürfnissen für die letzte Zeit auseinandersetzen können.

Oft ist in den Antworten von "Würde, würdevoll" die Rede. Ich finde es dann immer interessant nachzufragen, was denn damit gemeint ist. Angst schwingt mit: nicht mehr autonom entscheiden können, anderen zur Last fallen, auf andere angewiesen sein, der Verlust des in unserer Gesellschaft sehr hoch bewerteten rationalen und logischen Denkens, oder auch die Angst, konkret an einer Demenz zu erkranken.

An einer Demenz zu erkranken, das wird sich wohl niemand wünschen. Mit dem Vergessen leben, das bedeutet, dass vieles abnimmt, was einem Menschen vorher selbstverständlich möglich war. (Alltagsfertigkeiten, Zusammenhänge verstehen, Worte gehen verloren). Auch Angehörige erleben verunsichernde und belastende Veränderungen. Besonders schmerzlich ist wohl die Erfahrung, wenn der eigene Partner, die Partnerin mich nicht mehr kennt.

"Das Herz wird nicht dement", so ein Buchtitel und die Erfahrung mit Menschen, die ihre Gefühle und Bedürfnisse - vielleicht erst jetzt ganz ungefiltert - sehr wohl ausdrücken. Was nicht verloren geht, scheint das Gespür dafür zu sein, wer es wirklich gut mit mir meint, auch das Bedürfnis, dazuzugehören und für jemanden Bedeutung zu haben. Neben dem Vergessen vieler Details steht die Fähigkeit, ganz im Augenblick zu leben.

In der CS Caritas Socialis am Rennweg begleitet der Seelsorger Franz Josef Zessner Menschen, die mit dem Vergessen leben. Er erzählt von Frau Barbara: "Sie ist immer gerne in die Kirche gegangen. Sie ist 95, fast taub und sieht sehr schlecht. Immer noch kommt sie regelmäßig mit dem Rollstuhl in die Kapelle.

Oft schläft sie während der Messe ein, so auch an diesem Sonntag. In der Mitte des Gottesdienstes wacht sie auf. Und auf einmal hört man in der Kapelle recht laute, schnarrende Geräusche. Es ist Frau Barbara, die diese Geräusche von sich gibt, und sie hören nicht auf. Eine Pflegende steht auf, mit der Absicht, dafür zu sorgen, dass Frau Barbara die anderen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher nicht weiter stört. Die Pflegende hält inne. Sichtlich hört sie, was Franz Josef inzwischen auch versteht: Das Krächzen ist Gesang, man versteht das Wort Halleluja. Frau Barbara singt ihr Halleluja bis zum Schluss. Und vor dem Segen sagt der Priester: Dass Frau Barbara Halleluja singt, soll uns nicht stören. Es kann uns freuen, dass sie so, auf ihre Art, Gott lobt.

Zwei Wochen später ist kein Priester da, um die Messe mit den Bewohner/innen zu feiern. So leitet Franz Josef die Wort-Gottes-Feier. Danach bringt er Frau Barbara zum Aufzug. Dort sagt sie zu ihm: "Ich bin auch ein Priester. Ich kann auch predigen." Ja, das kann sie wirklich. Auf ihre Weise erzählt sie von der großen Würde des Menschen.

Die Bibel spricht groß vom Menschen. Ein Abbild Gottes ist jede und jeder einzelne von uns. Diese Würde ist unantastbar, aber damit sie nicht verletzt wird, braucht es Menschen, die andere in ihrer Würde stärken, die genau zuhören, die gerade in der Verletzlichkeit den Beitrag jedes Menschen entdecken. Ich habe großen Respekt vor allen, die sich dafür einsetzen. Ihr Engagement hat auch gesellschaftlich mehr Anerkennung und Würdigung verdient. Denn ganz nötig hat unsere Gesellschaft solche Pflegenden und Seelsorgenden, Ehrenamtliche und auch Angehörige und ganz einfach Menschen - Menschen, die Menschenleben stärken.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Gordon Stout
Album: WERKE FÜR MARIMBA SOLO
Titel: Mexikanischer Tanz Nr.2 < 1977 > - für Marimba
Solist/Solistin: Christian Roderburg /Marimba
Länge: 02:32 min
Label: Koch 311692

weiteren Inhalt einblenden