Bergkönig, Hinterhof und das Gefasel von den 1000 Seen

10. April 2019, 14:05

Nur visueller Wert

"Der Bergkönig" eröffnete den Abend im Konzertsaal des Radiosinfonieorchesters des Schwedischen Rundfunks. Die Pantomime "Bergakungen" wurde 1923 uraufgeführt. Die Musik von Hugo Alfven (1872-1960) stieß auf - wie denn anders - auf gemischte Reaktionen: Svenska Dagbladet schrieb, der Komponist habe "wieder seine Stellung behauptet", Komponistenkollege Wilhelm Peterson-Berger jedoch meinte, der einzige Wert sei der visuelle, die Musik sei nur Begleitelement mit "sicher sehr vielen Noten, aber ohne Zusammenhang und Organik", so dass sich "leider keine große innere Schönheit" einstellte. Mittlerweile wird die Suite aus dieser Balletpantomime als eines der besten Werke von Hugo Alfven bezeichnet.


Der Hinterhof als Königreich

Der 46-jährige Alfred Schnelzer ist einer der meist aufgeführten schwedischen Komponisten seiner Generation. Als Jugendlicher spielte er Keyboard in einer Rockband, bevor er Komposition von 1994 bis 2000 in Malmö bei Sven-David Sandström und Rolf Martinsson studierte. Sein Klavierkonzert "This is your Kingdom" ist ein Auftragswerk des Schwedischen Rundfunks für den 25-jährigen amerikanischen Pianisten und Komponisten Conrad Tao. Es sei ein virtuoses Konzert geworden." Er versteht es als "Tanz" des "augenzwinkernden Spielwitzes" mit "leicht boshaften und dunklen Seiten": Schnelzers Blick aus einem Hinterhof in einem Außenbezirk Stockholms. Diesen Hinterhof macht Schnelzer zu einem Königreich.


Sibelius und das Gefasel von den 1000 Seen

Volker Tarnow schreibt in seiner 2015 erschienenen Biografie "Sibelius" über die Gründe der lange vorherrschenden einseitigen Sibelius-Rezeption in Mitteleuropa, aber auch in Finnland: "Neben einer aus Unkenntnis erwachsenen Überheblichkeit gehört seit je maßlose Deutungswut zu den Grundzügen der Sibelius-Rezeption. Beide Haltungen bedingen einander: Je geringer die Kenntnis, desto platter die Klischees." Musikwissenschafter bis zu Adorno übersahen, dass Sibelius die überlieferte Harmonik "um pentatonische und modale Tonleitern" bzw. die klassische Metrik durch "scheinbar primitive Rhythmen" bereicherte. Das habe man als "Elementarwendungen finnischer Musik" interpretiert oder, wie Niemann schrieb, "Symptome stark cholerischen Wesens wie sie auch bei Italienern und Negern vorkommen, die gehäuften Wiederholungen desselben Motivs sind dem naiven Kulturstand des Naturvolks entsprungen." Und das "Gefasel von den tausend finnischen Seen" habe "jahrzehntelang jede ernsthafte Auseinandersetzung mit den Partituren" ersetzt. "Und niemand deutete die Sinfonie e-Moll ideengeschichtlich, als ein Werk nämlich, dessen zyklische Form einer zyklischen Weltanschauung entsprang. Sibelius war anders . so viel verstand man in Deutschland. Aber man verstand nicht, wie und warum."

Selbst Ilmari Krohn, der "Vater der finnischen Musikwissenschaft", versuchte in der Symphonie Nr.1 zwanzig Leitmotive nachzuweisen, die er aus dem finnischen Nationalepos Kalevala ableitete, z. B. "wuchtige Rachehiebe", "erbarmungsloses Draufhauen", "fernkarelische Birkenrindenhornrufe", "das Herausziehen des Schwertes aus der Scheide" usw. "Krohn war sich überhaupt nicht bewusst," so Tarnow, "dass die sinfonische Logik leugnet, wer ihnen erzählerische unterstellt." Vergeblich protestierte Sibelius öffentlich, seine Symphonien hätten nichts mit dem Kalevala zu tun.

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger