Plattenumschläge

ORF/CHRISTIAN SCHEIB

Le week-end

Der Star, Jahrgang 1935, und der Geheimtipp, geboren 1925

Mit Elke Tschaikner und Christian Scheib. Zwei Musikerinnen der feinen Zwischentöne: Fairuz trifft Joan Benson

Es wird eine Stunde der feinen Töne, der Zwischentöne, der Tonnuancen. Und zwar aus zwei verschiedenen Kulturkreisen. Am Samstag zwischen dem Karfreitag und dem Ostersonntag bitten wir die legendäre Sängerin Fairuz, ihr jahrzehntelang gepflegtes Ritual, am Karfreitag in der Kirche zu singen, mit uns zu teilen. Feinste Stimmnuancen sind da garantiert. Die feinen Tastennuancen steuert eine weitere Grande Dame bei, die auf historische Instrumente spezialisierte Pianistin Joan Benson.

Joan Benson trifft heute Fairuz, Grande Dame trifft Grande Dame. Die eine, Jahrgang 1925, lebt inmitten ihrer Clavichorde und Fortepianos in Oregon, USA, und ist selbst in ihrer Welt der Tasteninstrumente heutzutage ein Geheimtipp. Die andere, Jahrgang 1935, lebt in Beirut, Libanon, und ist nichts weniger als die bekannteste Stimme des arabischen Raums. Was die beiden verbindet, ist ein Musizieren in allerfeinsten Schattierungen und zarten Zwischentöne.

Die Sängerin Fairuz verkörpert am Karfreitag die trauernde Mutter. Zwei Instrumente geben mit wenigen Tönen Stimmung und Tonraum vor, dann setzt Fairuz ein und schon am Ende der allerersten Vokalphrase verästelt sich ihre trauernde Stimme in ein Mikrogeflecht kleinster Melismen. "Ich bin die trauernde Mutter", heißt es im Text, "lass den Tod des Sohnes zum Leben für andere werden". Es werden Litanei-artig noch weitere Trauernde aufgezählt, bis die Schlusszeile die Essenz des Ereignisses auf den gläubigen Punkt bringt: "All jenen in ihren Gräbern und Gruften bringt er ewiges Leben". Eine Ode feinst nuancierter Trauer voll Hoffnung. Die Clavichordistin Joan Benson antwortet dann mit einem vom Komponisten Johann Jakob Froberger im 17. Jahrhundert errichteten Grabstein, ein vom Wiener Hoforganisten entworfener "Tombeau" für einen Musikerkollegen, dem Lautenisten Monsieur Blancheroche. Heute lebt die 1925 geborene Benson wieder in den USA, aber ab den 60er Jahren führte sie als Solistin und Reisende ein äußerst abwechslungsreiches, aufregendes und Kontinente umspannendes Leben. Aufgewachsen ist sie in New Orleans, hört als Kind Jazz und Auftritte der reisenden Klaviervirtuosen Rachmaninoff und Paderewsky, und studiert bei Percy Grainger. Es folgen Studien in London, Wien und Paris, wo sie auch Stunden bei Olivier Messiaen hat, und dann wandte sie sich, mehr oder weniger zum Entsetzen jener arrivierten Pianisten, bei denen sie gelernt hatte, dem alten Instrumentarium zu, dem Clavichord und dem Fortepiano. Mit zwei Komponisten ging sie in diesen Jahren ein besonders symbiotisches Verhältnis ein, mit Wilhelm Friedemann Bach und Carl Philipp Emanuel Bach. Sie verhalf diesen Komponisten einerseits und die Musik dieser Komponisten verhalf andererseits ihr zu Anerkennung und Wertschätzung. Kaum jemand hatte bis dahin die wie improvisiert wirkenden Fantasien in solchem Tonfall in die Konzertsäle gebracht.

Und vielleicht sind sich Joan Benson und Fairuz auch wirklich begegnet, denn Joan Benson war viel unterwegs im nahen und auch im fernen Osten. Unterwegs mit ihrem eigenen Instrumentarium, eingeschifft mit Hammerflügel und Clavichord geht es nach Indonesien ebenso wie nach Syrien, nach Jordanien, in die Türkei und in den Libanon. Es sind keine gedrängten Konzertreisen, sie nimmt sich Zeit für die Welt: Sie besteigt Neuseelands höchste Berge, konzertiert in Hongkong mit traditionellen chinesischen Musikern, besucht die Palastanlage in Kraton um mit javanesischen Musikern im indonesischen Fernsehen aufzutreten, reist nach Japan und wendet sich in Tibet dem Buddhismus zu. Sie lernt alte Tänze von syrischen Bauern, arbeitet mit englischen Archäologen in Petra, tauscht sich mit nomadischen Musikern in Jordanien aus und in den Ruinen von Baalbeck besucht sie ein Konzert der legendären ägyptischen Sängerin Umm Kulthum. In den Ruinen von Baalbeck, beim dortigen internationalen Musikfestival startet im Jahr 1957 auch die Karriere der Fairuz. In vielen arabischen Ländern ist es Tradition, dass Radiostationen ihr Morgenprogramm mit einem von ihr gesungenen Lied beginnen: Fairuz - the first Lady of Lebanese Singing. Die Wärme und schüchterne Eleganz ihres Gesangs scheint sie fast zu einer mystischen Figur werden zu lassen. In den 60er Jahren ging ihre Karriere so richtig los und viele der Songs stammten von den Brüdern Assi und Mansour Rahbani. Aus den frühen 60er Jahren stammen auch die Aufnahmen zur Passion Christi, die uns durch dieses "le week-end" begleiten und im selben Jahrzehnt entstanden auch viele Einspielungen der Tastenkünstlerin Joan Benson, die kürzlich auf Doppel-CD wiederaufgelegt wurden.

Sendereihe

Gestaltung

  • Elke Tschaikner
  • Christian Scheib

Playlist

Komponist/Komponistin: Anonymous (mid-fifteenth century)
Titel: Preaembulum
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 01:49 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Trad.
Titel: Anal Oum El Hazina
Ausführende: Fairuz
Länge: 03:56 min
Label: LPGVDLRT-010

Komponist/Komponistin: Johann Jacob Froberger
Titel: Tombeau fait à Paris sur la mort de Monsieur Blancheroche
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 05:34 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach
Titel: Free Fantasia in F-sharp Minor, Wq.67 (1787)
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 12:28 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Trad.
Titel: Al Youm Oulliqa
Ausführende: Fairuz
Länge: 03:44 min
Label: LPGVDLRT-010

Komponist/Komponistin: Trad.
Titel: Qamat Mariyam
Ausführende: Fairuz
Länge: 03:15 min
Label: LPGVDLRT-010

Komponist/Komponistin: Franz Joseph Haydn
Titel: Sonata in D Major, Hob. XVI: 24
* Adagio
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 03:47 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach
Titel: Fantasia I in F Major, "für Kenner und Liebhaber" Wq.59:5
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 04:48 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Trad.
Titel: Estaneeri
Ausführende: Fairuz
Länge: 03:21 min
Label: LPGVDLRT-010

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart
Titel: Fantasia in D Minor, K. 397
Solist/Solistin: Joan Benson
Länge: 05:12 min
Label: CLAVIER CLASSICS CC108

Komponist/Komponistin: Trad.
Titel: Al Masih Qam
Ausführende: Fairuz
Länge: 02:34 min
Label: LPGVDLRT-010

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