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Gedanken für den Tag
Johanna Schwanberg über Leonardo da Vinci
"Sensibler Grenzüberschreiter" - Zum 500. Todestag von Leonardo da Vinci versucht Johanna Schwanberg, Kunstwissenschafterin und Direktorin des Dom Museum Wien, in subjektiven Kunstbetrachtungen das innovative Schaffen des Renaissancekünstlers greifbar zu machen. - Gestaltung: Alexandra Mantler
4. Mai 2019, 06:56
Anna Selbdritt, um 1503 - 1519
Ein wunderbares Motiv, ein ungewöhnliches Bild! Es hat Scharen von Forschern und Psychoanalytikern zu kontroversen Deutungen veranlasst. Zudem ist es eines der wenigen Gemälde von Leonardo da Vinci, der zwar als Künstler legendär ist, aber bloß eine überschaubare Zahl an Bildern hinterlassen hat.
Das im Louvre befindliche Gemälde gehört zu den komplexesten Werken des Renaissancemalers. Wie viele Arbeiten Leonardos ist es nur teilweise vollendet. Zu sehen ist eine junge Frau, die auf dem Schoß einer anderen Frau sitzt. Sie wendet sich liebevoll ihrem am Boden mit einem Lamm ringenden Kind zu. Die Dreiergruppe befindet sich in einer kargen Landschaft. Im Hintergrund ist ein schroffes Felsengebirge, rechts hinter dem Kind ein einzelner Baum zu erkennen. Am Horizont ein intensiver Himmel mit verschiedenen dunstigen Abstufungen der Farbe Blau.
Unschwer lässt sich aus dem Bild ein christliches Thema herauslesen, handelt es sich doch um eine Darstellung dreier Generationen: Nämlich Maria mit ihrer Mutter Anna und ihrem Sohn, dem kleinen Jesusknaben. Das Motiv mit dem eigentümlichen Namen "Anna Selbdritt" ein alter Ausdruck für Anna zu dritt ist bis ins 8. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Allerdings hat Leonardo etwas vollkommen Neues daraus gemacht. Seine Interpretation versetzte bereits die Zeitgenossen in Staunen, wenn man dem Renaissance-Biografen Giorgio Vasari Glauben schenkt. So schrieb er in Bezug auf eine Vorstudie zu dem Gemälde: "Als der Entwurf fertig war, sah man zwei Tage lang Jung und Alt, Männer und Frauen, wie zu einer großen Festlichkeit nach dem Zimmer pilgern, wo Leonardos Wunderwerk ausgestellt war."
Ich mag dieses Bild besonders, da mich der zutiefst persönliche Charakter wie auch die Familienthematik interessieren. Selten ist die Beziehung dreier Generationen in der Kunst so körpernah und liebevoll dargestellt worden. Zugleich berührt mich die Ambivalenz dieses Bildes. Denn es spiegelt die Freude von Mutter und Großmutter über die Lebendigkeit des göttlichen Kindes. Andererseits versucht Maria Jesus vergeblich von dem Lamm Symbol der Passionsgeschichte fernzuhalten. Schmerz und Trauer über den bevorstehenden Verlust des Sohnes und Enkels legen sich wie ein unsichtbarer Schleier über das heitere Geschehen.
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: anonym
Album: DIE WIEGE DER RENAISSANCE / Italienische Musik aus der Zeit Leonardo da Vincis (1452 - 1519)
Titel: De dos la mer - für Blockflöte, Laute und Harfe (00:01:21) - tw. 2x gespielt
Ausführende: Sirinu
Länge: 01:21 min
Label: Hyperion CDA 66814