Zwischenruf

Stefan Schröckenfuchs über Religion und Homosexualität

"Ein Spannungsfeld". Stefan Schröckenfuchs, Superintendent der evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich, erzählt von einer ungewöhnlichen Podiumsdiskussion anlässlich der EuroPride in Wien. - Gestaltung: Brigitte Krautgartner

Vor einigen Tagen war ich Teil einer sehr ungewöhnlichen Podiumsdiskussion. Am Podium: ein progressiver Rabbi, eine liberale Imamin, ein katholischer Theologe und ich. Das Publikum: v.a. Schwule, Lesben, Bi und Transsexuelle. Anlass dieser Diskussion war die EuroPride - also jenes Großevent, das sich für Toleranz und Gleichberechtigung von Homosexuellen, Bisexuellen und Transsexuellen stark macht, und das Anfang Juni in Wien stattgefunden hat.

Eine ungewöhnliche Konstellation. Ungewöhnlich war aber auch die Einmütigkeit unter den Personen auf dem Podium. Denn gemeinsam machten wir uns für einen Gott stark, dessen Liebe allen Menschen gilt. Die Reaktion der Zuhörenden war dennoch zurückhaltend bis skeptisch. Die Erfahrung hat sie etwas anderes gelehrt. Dass sie in Kirchen und unter "frommen" Menschen auf Ablehnung stoßen. Dass sie nicht sein dürfen, wie sie sind. Dass ihre Liebe als Sünde gesehen wird.

Noch am selben Abend führte mein Weg weiter zu einer christlichen Konferenz in der Schweiz. Auch dort wurde ich in ein Gespräch über Homosexualität verwickelt. Und sah mich rasch mit der Aussage konfrontiert, meine Ansichten würden der Bibel widersprechen. Die Bibel sage doch ganz klar, dass Homosexualität gegen Gottes Schöpfungsordnung sei. Und dass eine Ehe nur ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau sein könne.

Sind die biblischen Aussagen zu Ehe und gleichgeschlechtlicher Liebe wirklich so eindeutig? Ich bin anderer Meinung. Das Bild der Ehe hat sich im Entstehungszeitraum der Bibel mehrfach gewandelt und war immer von der Lebensrealität der jeweiligen Zeit geprägt. Gleichberechtigung von Frauen und Männern war ein Fremdwort, und Männern war zumindest in frühbiblischer Zeit die Mehrehe erlaubt. Das entspricht wohl kaum noch dem heutigen Ideal von Partnerschaft.

Aber auch die soziale Funktion der Familie war eine andere: In Zeiten, in denen es keine unabhängigen Gerichte, keine Polizei und weder Pensions- noch Krankenversicherung gab, war die Familie das Um und Auf. Sie war die Bildungsstätte der Kinder, sicherte die Versorgung im Alter, schützte vor Übergriffen Fremder und sorgte für Recht. Das Ideal einer gleichberechtigten Partnerschaft zweier Menschen, die sich lieben, und die deshalb ihr Leben miteinander verbringen wollen, bleibt in einer solchen Gesellschaft ein frommer Wunsch. In biblischen Zeiten waren Menschen schlicht darauf angewiesen, Teil einer Familie zu sein. Entsprechend war auch die gesellschaftliche Erwartung an Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter, eine Familie zu gründen und Kinder zu zeugen. Dieser Familie war man allerdings auch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Im Blick auf gleichgeschlechtliche Sexualität lese ich von der Verurteilung von Gewalt an Schutzlosen (z.B. in der Geschichte von Lot in Sodom), von der Ablehnung von Kultprostitution, wie sie in Religionen im Umfeld Israels verbreitet war, oder von der Kritik daran, sich einen Lustknaben zu halten, wie es in der hellenistischen Kultur verbreitet war - also noch einmal: von Kritik an der Ausbeutung Schutzloser. Das Thema der Liebe zweier gleichberechtigter Partner oder Partnerinnen ist meiner Meinung nach in keinem dieser Texte angesprochen.

Von Jesus selbst ist übrigens kein Wort über gleichgeschlechtliche Liebe überliefert. Eindeutig ist aber, dass er sich besonders denen zugewandt hat, die ausgegrenzt, moralisch vorverurteilt und als Sünderinnen und Sünder abgestempelt wurden. Jesus hat seine Stimme da erhoben, wo religiöse Gebote dazu benutzt wurden, andere klein zu machen. Und er hat es verurteilt, wenn Starke auf Kosten der Schwachen leben.

Diesem Beispiel möchte ich folgen. Darum halte ich es für nötig, jede Form der Ausbeutung und Gewalt zu verurteilen. Dazu gehört gewiss auch sexuelle Ausbeutung. Die Liebe von Menschen zu verurteilen, die sich gegenseitig und aus freien Stücken lieben, halte ich jedoch für falsch.

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