ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Radiokolleg - Der persönliche Blick auf alte Zeiten
Neue Formen der Biografieforschung (1). Gestaltung: Uli Jürgens.
8. Juli 2019, 09:30
Wer bin ich und wo komme ich her? Diese Fragen stellt sich wohl jede und jeder im Laufe seines Lebens. Wie sind wir zu dem Menschen geworden, der wir heute sind? Die Antworten finden sich nicht immer in der eigenen Geschichte, denn freilich spielen Erziehung und Sozialisierung eine große Rolle, doch so manches Detail erschließt sich erst durch die intensive Beschäftigung mit den Vorfahren. Die Ahnenforschung ist ein boomendes Geschäft: DNA-Proben und persönliche Daten gegen genealogische Informationen.
Banges Warten. Was tun, wenn das Gefundene nicht den Erwartungen entspricht? Wenn die Familiengeschichte böse Überraschungen bereithält? Doch viele Ahnenforscher/innen erfahren von Verwandten auf der anderen Erdkugel, entdecken Unerwartetes. Die Reise geht oft viele Jahrhunderte in die Vergangenheit.
Und auch das kollektive Erinnern verändert sich durch neue Formen der Biografieforschung.
Nach 1945 spielte sie in der österreichischen Forschungslandschaft keine große Rolle, Verdrängen und Vergessen standen im Vordergrund. Erst in den 1980er Jahren erkannten ForscherInnen das Potenzial der Auswertung und Integration biografischer Daten. In unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ist die Erforschung von Lebenswegen heute nicht mehr wegzudenken: in der Bildungswissenschaft, der Geschichte und der Soziologie.
Forscher/innen bilden Netzwerke, untersuchen Wechselwirkungen gesellschaftlicher Prozesse, begreifen die Biografie als soziales Konstrukt. Oral History - das (Weiter-)Erzählen von Geschichten - ermöglicht einen neuen Blick auf alte Zeiten. Decken sich die Erzählungen der Großeltern mit dem, was die Eltern ihren Kindern erzählen? Und wie werden diese Narrative von der nächsten Generation weitergetragen?
Es gibt mittlerweile unzählige Datenbanken, Archive und Sammlungen, die online - egal, ob für den privaten oder wissenschaftlichen Gebrauch - beforscht werden. Taufbücher, Sterbebücher und Adressbücher wurden bereits digitalisiert, nur wenige Mausklicks und es eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. In Nachlässen werden Briefe entdeckt, die bereits verstorbene Familienangehörige in einem neuen Licht zeigen. Auf Familienfilmen oder in Fotoalben sind Personen zu sehen, über die kaum gesprochen wurde.
In Dokumenten finden sich Informationen, die auf verschlungene Lebenswege schließen lassen. In Foren tauschen sich Ahnenforscher/innen und Familienbiografen aus, füllen die Lücken im Familiennarrativ. Sich selbst im Heute zu verorten, ist zutiefst menschlich - und war noch nie so einfach wie heute.
Service
Links:
Biografieforschung Soziologie Universität Wien
Sammlung Frauennachlässe
Volkskundemuseum Wien
Österreichisches Filmmuseum
MyHeritage
Homepage Felix Gundacker, Berufsgenealoge
Homepage Michael Eisenriegler
Kostenfreie Podcasts:
Radiokolleg - XML
Radiokolleg - iTunes