BILD ARCHIV AUSTRIA
Gedanken für den Tag
Daniel Zipfel über Gottfried Keller
"Unbekannte Doppelleben". Anlässlich des 200. Geburtstags von Gottfried Keller erzählt Daniel Zipfel, Schriftsteller und Jurist im Asylbereich, über Schriftsteller, die zugleich Juristen waren. - Gestaltung: Alexandra Mantler.
10. Juli 2019, 06:56
Der wohl berühmteste aller schreibenden Juristen bediente sich in seinen Schriftsätzen mitunter einer heftigen Sprache. In einem Prozess, wo er einen Porzellanfabrikanten gegen dessen Vater vertrat, ging verbal wohl einiges Porzellan zu Bruch. Der gegnerische Schriftsatz stelle eine "abscheulichste Missgeburt" dar und gleiche dem Tonfall eines "zanksüchtigen alten Weibes, deren erhitztes Gehirn sich in fünf Worten erschöpft".
Der Gegenanwalt war nicht minder zimperlich, und schlussendlich kassierten beide einen Verweis des Richters, sie mögen sich einer anständigeren Sprache bedienen. Der schreibende Jurist war Goethe, und die richterliche Mahnung nahm er sich wohl nicht besonders zu Herzen, konstatierte er doch: "Ein höflich Recht will gar nichts heißen!"
Er dichtete zwar in mehreren literarischen Gattungen, zeichnete, forschte naturwissenschaftlich und wurde obendrein Minister des Herzogs von Sachsen-Weimar, aber sein rechtswissenschaftliches Studium war für ihn, zumindest am Anfang, eine vom Vater erzwungene Qual. Erst nach einiger Zeit bekannte er schließlich, mit der Jurisprudenz sei es wie mit dem Merseburger Biere: "Das erste Mal schauert man, und hat man's eine Woche getrunken, so kann man's nicht mehr lassen."
Dass Goethe am Ende doch Gefallen fand an der Rechtswissenschaft, das mag an den Parallelen zum Schriftstellerischen liegen. An der präzisen Arbeit mit Sprache, einem geradezu feinmechanischen Handwerk, an der Bedeutung von Zwischentönen, des Ungesagten, und nicht zuletzt an der Beschäftigung mit der menschlichen Psyche, die beiden Tätigkeiten innewohnt. Goethe war das, was man heute einen "Feld-, Wald- und Wiesenanwalt" nennen würde - einer, der sich mit menschlichen Alltagsproblemen befasst, von Schlägereien über Erbschaftsstreitigkeiten bis hin zu Viehmängeln. Hier begegnen einem die großen Fragen nach der menschlichen Natur, nach Gerechtigkeit, in banalen Konflikten.
So dürfen gesetzliche Bestimmungen auch nie zum formalistischen Selbstzweck werden, müssen letzten Endes immer dem Menschen dienen. Nahe an den Bedürfnissen des Menschen zu bleiben, ist auch ein Auftrag moderner Gesetzgebung und Rechtsprechung: Klarheit zu schaffen in Gesetzesstruktur und Sprache, Rechtssicherheit zu bieten und Bestimmungen auf eine Weise zu interpretieren, die gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt.
Goethe jedenfalls konstatierte schlussendlich sogar: "Ein durchgreifender Advocat in einer gerechten Sache, ein durchdringender Mathematiker vor dem Sternenhimmel, sind beide gottähnlich."
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Album: THE GLENN GOULD EDITION
* 8. Variatio 7 a 1 ovvero 2 Clav. Al tempo di Giga (00:01:08)
Titel: Goldberg - Variationen BWV 988 "Aria mit 30 Veränderungen" (aus Klavierübung Teil IV)
Solist/Solistin: Glenn Gould /Klavier
Länge: 01:08 min
Label: SONY SMK 52594