BILD ARCHIV AUSTRIA
Gedanken für den Tag
Daniel Zipfel über Gottfried Keller
"Unbekannte Doppelleben". Anlässlich des 200. Geburtstags von Gottfried Keller erzählt Daniel Zipfel, Schriftsteller und Jurist im Asylbereich, über Schriftsteller, die zugleich Juristen waren. - Gestaltung: Alexandra Mantler.
12. Juli 2019, 06:56
Nach Erscheinen meines Romans "Eine Handvoll Rosinen" wurde ich immer wieder gefragt, wie es denn möglich wäre, neben einem Vollzeitberuf ein Buch zu schreiben. Noch immer herrscht weitläufig das romantische Bild des Autors vor, der mit seiner literarischen Tätigkeit auch seinen Lebensunterhalt bestreitet. Gleichzeitig jedoch ist dies weniger oft der Fall, als gemeinhin angenommen wird, selbst in der Vergangenheit, bei den großen deutschen Klassikern.
Somit ist das Problem der Vereinbarkeit von Literatur und juristischem Brotberuf nichts Neues. Schon Kafka entschied sich, nicht zuletzt des Schreibens wegen, gegen eine Position in der renommierten Versicherungsgesellschaft Assicurazioni Generali. Diese hätte ihn zwar womöglich nach Triest geführt, wo sich zu dieser Zeit auch James Joyce aufhielt, allerdings war die Aussicht auf zwei Wochen Urlaub im Zeitraum von zwei Jahren dann wohl wenig attraktiv. Schließlich war es selbst in seiner Beamtenfunktion bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt noch immer eine stetige Herausforderung, Brotberuf und Schreiben unter einen Hut zu bringen. Kafka löste das Problem durch einen minutiösen Tagesplan, trotzdem blieb ihm nur nachts Zeit zum Schreiben.
Ein ebensolches Doppelleben führte E.T.A. Hoffmann, der als Kammergerichtsrat des preußischen Königs damit befasst war, deutschnationale Aufrührer zu bekämpfen. Doch tat die Limitierung der verfügbaren Zeit der literarischen Qualität des Werks Abbruch? Benötigt man viel Zeit, um gut zu schreiben?
Hoffmanns Zeitgenosse Joseph Eichendorff schrieb einmal: "Die prosaischen Gegensätze befestigen und konzentrieren nur die Poesie und verwahren am besten vor der poetischen Zerfahrenheit." Kurz fasste er zusammen: "Es schadet eben nichts."
Beförderte also in diesen Fällen gerade die knappe verfügbare Zeit und der eingeschränkte Rahmen eine fokussierte und gezwungenermaßen produktive Arbeitsweise?
Interessanterweise blieb das literarische Leben der schreibenden Juristen ihren unmittelbaren Arbeitskollegen oftmals unbemerkt. So dürfte Kafkas Bekanntheit als Schriftsteller seinem Umfeld in der Versicherungsgesellschaft weithin verborgen geblieben sein. Auch im Fall von E.T.A. Hoffmann stellte dessen Vorgesetzter, der Kammergerichtspräsident Woldermann, fest, Hoffmann habe sich durch Ernst und würdiges Betragen in seinen Amtshandlungen ausgezeichnet und - wörtlich - nicht einmal eine Spur seines komischen Schriftstellertalents blicken lassen.
Service
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Album: THE GLENN GOULD EDITION
* 4. Variatio 3 Canone all'Unisono a 1 Clav. (00:55)
Titel: Goldberg - Variationen BWV 988 "Aria mit 30 Veränderungen" (aus Klavierübung Teil IV)
Solist/Solistin: Glenn Gould /Klavier
Länge: 00:55 min
Label: SONY SMK 52594