Susanne Eiselt erzählt Geschichten von Menschen

26. September 2019, 06:56

1971 haben meine Mutter und ich den Sommerurlaub in einem kleinen Ort im niederösterreichischen Mostviertel verbracht. Es ist ein besonderer Aufenthalt geworden. Einige Monate zuvor war mein Vater gestorben. Der Urlaub sollte uns Trost, Kraft und neuen Lebensmut geben.

Ich bin damals 13 Jahre alt gewesen. Viel später haben mir Sozialarbeiter und Psychologen gesagt, dass der Verlust des Vaters gerade in diesem Alter besonders kritisch sei, weil die Pubertät beginne und gerade Mädchen dabei eine gesunde Beziehung zu ihrem Vater benötigten, um sich schrittweise abnabeln zu können. Fehle der Vater, könne das Mädchen in ein großes Loch fallen.

Dieses Loch zeigte sich unter anderem bei mir darin, dass ich mit dem Gefühl durchs Leben gegangen bin, die anderen Jugendlichen seien - wie es heute heißt - einfach "cooler" als ich. Meine Mutter, die als junges Mädchen viel gewandert ist und daher sehr gerne in der Natur war, hat mir Respekt und richtiges Verhalten im Wald und bei Wanderungen beigebracht. Sie hat mir bei den Spaziergängen und Ausflügen auch erzählt, dass ihr Vater, der die Shoah nicht überlebt hat, stets gemeint hatte, Gott nicht in einer Synagoge, sondern in der Natur finden zu können. Und bald sollte es mir ähnlich gehen.

Auf einer Wanderung kamen wir zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf Tannenwälder, Hügel und ein Bauernhaus im Tal. Ich erinnere mich sehr deutlich, dass uns damals beim Anblick der stillen, sanften Landschaft regelrecht die Worte gefehlt haben. Wir waren ob dieses Anblicks tief bewegt und ich hatte plötzlich den Eindruck, dass gerade in diesem Moment neuer Lebensmut in mir gewachsen ist. Seit damals fahre ich alljährlich in diesen Ort, besuche Freunde, gehe wandern und spüre hier ganz besonders eine starke spirituelle Kraft der Natur. Gresten im Bezirk Scheibbs ist dieser Kraftort.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler