Martin Jäggle

Martin Jäggle - APA/HERBERT P. OCZERET

Gedanken für den Tag

Martin Jäggle über den Fall der Berliner Mauer

"Erinnern". Um Erinnern muss gerungen werden, meint Martin Jäggle, katholischer Theologe und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Zu Beginn des Shoah-Gedenkens stand viel Betroffenheit über die große Zahl. Wenn jemand von der Shoah sprach, von den sechs Millionen Toten, hieß es: "Wie fürchterlich!" und "Nie wieder!" All die pathetischen Formeln und politischen Floskeln blieben letztlich Geräuschkulissen, denn ermordet wurden nicht Zahlen, sondern Menschen.

Das Benennen von Zahlen ist weder Erinnern noch Gedenken, sich aber mit konkreten Menschen und ihrem Leben auseinanderzusetzen, das schafft eine Grundlage, die man sich anschauen kann, sich vorstellen kann. Diese Konkretheit des Lebens, des Mordens, des Vertreibens ist nur möglich zu erinnern, wenn junge und alte Menschen sich auf Spurensuche nach den einzelnen Opfern begeben. So bekommen die, die ermordet wurden, wieder ihren Namen.

Aus den Gedenkpraktiken von Schulen weiß ich, welche Bedeutung es übrigens haben kann, wenn deren Nachkommen und Angehörige sehen: Hier werden ihre ermordeten Vorfahren gewürdigt, wieder hereingeholt und sichtbar gemacht. Das kann ein Anfang von Versöhnung sein, auch wenn damit keine Vertreibung und kein Mord ungeschehen gemacht werden.

Bei allen Menschenrechten sind in der westlichen Tradition die Toten irgendwie ausgeklammert, aber in der jüdischen Tradition haben Tote Rechte. Ihnen gehört zum Beispiel das Grab. Und die Toten haben nach jüdischer Tradition auch das Recht auf Erinnerung. Dementsprechend gibt es - spät aber doch - zahlreiche Bemühungen, die Namen der Opfer öffentlich sichtbar und wahrnehmbar zu machen. Im Grunde genommen respektieren alle diese Formen des Erinnerns von Menschen, das Sprechen ihres Namens, deren Recht auf Erinnerung. Daher geht es im Erinnern nicht um die Frage des gefühlsmäßigen Bewegt-Seins, sondern darum, Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Bill Frisell
Album: THE DECLARATION OF MUSICAL INDEPENDENCE
Titel: Kaddish/instr.
Ausführende: Andrew Cyrille Quartet
Ausführender/Ausführende: Andrew Cyrille /Drums
Ausführender/Ausführende: Bill Frisell /Gitarre
Ausführender/Ausführende: Richard Teitelbaum /Synth., Piano
Ausführender/Ausführende: Ben Street /Bass
Länge: 05:10 min
Label: ECM Records 2430 / 4719575

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