Hand einer Statue

AFP/GABRIEL BOUYS

Medizin und Gesundheit

(K)ein Platz für Menschen mit psychischen Erkrankungen

In Österreich leben etwa 1,2 Millionen Menschen mit einer psychischen Erkrankung - darunter viele Jugendliche.
Hinter diesen Zahlen verbergen sich tragische Einzelschicksale - sowohl von Betroffenen als auch von ihren Angehörigen.
Dipl.-Ing.in Michaela Wambacher suchte 1998 im Alter von 37 Jahren freiwillig eine psychiatrische Station auf. "Meine Angststörung war die Hölle", sagt sie. Die Arbeit im Verein "Achterbahn", einer Plattform für Menschen mit psychischen Erkrankungen, hat ihr Leben ins Positive verändert.
Besonders schwer haben es jene 50.000 Kinder und Jugendliche, die ihre psychisch erkrankten Eltern betreuen. Lisa Kainzbauer war fünf Jahre alt, als ihre Mutter die Diagnose Schizophrenie erhielt. Als ihre Urgroßmutter, das Rückgrat der Familie, starb, war Lisa 13. Von diesem Zeitpunkt an war ihr Leben eine kaum zu meisternde Herausforderung.
"Ich fand es so arg, wie überfordert viele Menschen in meiner Umgebung waren, wenn ich mit ihnen über psychische Erkrankungen und über meine Erfahrungen gesprochen habe", sagt Lisa Kainzbauer. 2016 schloss sie ihre Ausbildung zur Fotografin an der höheren graphischen Bundes-Lehr- und -versuchsanstalt in Wien ab. Derzeit arbeitet sie an einem Fotobuch über Schizophrenie.

"Recovery" ist mehr als klinische Genesung
"Unheilbar krank" und "austherapiert" - das gibt es nicht. Zumindest wenn es nach dem aus den USA stammenden psychiatrischen "Recovery"-Konzept geht. Das Fazit: Psychische Erkrankungen sind heilbar, resümiert Univ.-Prof.in Dr.in Michaela Amering in ihrem preisgekrönten Buche "Recovery - Das Ende der Unheilbarkeit". Die Basis der Herangehensweise besteht aus einer Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Fachleuten und Angehörigen.

Die erste Hürde - internalisiertes Stigma
Ein wichtiger Punkt des "Recovery" ist der Umgang von Personen mit psychischen Erkrankungen mit sich selbst. Denn mangelnde Selbstbestimmung, Arbeitslosigkeit, Perspektivenlosigkeit - all das können Folgen dieser Störungsbilder sein. Hinzu kommen Stigmatisierungen und Diskriminierungen durch die Umwelt. Es kursieren ja viele Vorurteile wie etwa: Menschen mit psychischen Erkrankungen seien faul, unzuverlässig oder gar gefährlich.
Rund ein Drittel der Betroffenen nehmen diese negativen Vorstellungen in ihre Selbstwahrnehmung auf.

Die Selbsthilfe - der Wert der Betroffenenarbeit
Nur wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen stärker in der Öffentlichkeit sichtbar werden, als Dozenten, in Schulen oder in politischen Gremien, können Stigma und Diskriminierungen erfolgreich abgebaut werden. Daher ist die Betroffenenarbeit gesamtgesellschaftlich von großer Bedeutung. Doch nur die wenige Vereine, die Betroffenenarbeit leisten, wie "Achterbahn" aus Graz oder "Omnibus" in Bregenz, können über Jahre hinweg bestehen. Meist fehlt es an finanzieller Unterstützung durch Bund und Länder.

Die Angehörigen - Ressourcen oder Belastung
"Niemand sucht es sich aus, Angehöriger eines psychisch erkrankten Familienmitglieds zu werden, muss aber dann wohl oder übel damit umgehen.", so Mag. Edwin Ladinser, Geschäftsführer vom Verein "Hilfe für Angehörige psychischer Erkrankter". Umso wichtiger ist es, auch Angehörige in dieser lebensverändernden Situation zu unterstützen. Für Viele ist bereits die Einbeziehung während des Behandlungsverlaufs entlastend. Darüber hinaus sinkt so auch die Rückfallrate eines psychisch erkrankten Familienmitgliedes. Denn Angehörige beeinflussen maßgeblich den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen.

Lösungen für alle
Eine weitere Möglichkeit zur Unterstützung ist der Trialog. Dabei treffen Menschen, die selbst eine psychische Erkrankung haben oder hatten, im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen mit Angehörigen, Interessierten und Professionellen zusammen. Auf Augenhöhe entsteht zwischen ihnen ein offener Austausch, der aufklären soll. In Wien organisiert der trialogische Verein Freiräume alle zwei Wochen solche Begegnungen.
Unter dem Motto "Arm macht krank und krank macht arm" fordert der Verein "pro mente Austria" von der zukünftigen Bundesregierung umfassende Maßnahmen für Menschen mit psychischen Erkrankungen: im Bereich der Arbeit, der psychischen Gesundheit, dann bundesweit einheitlich geregelte Versorgungmaßnahmen und schließlich mehr Bemühungen in der Prävention von psychischen Erkrankungen. Denn derzeit gilt: Viele der notwendigen Therapien und Betreuungsangebote sind teuer. Das können sich nur wenige leisten.

Haben Sie oder eine Angehörige Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gemacht? Wie sind Sie damit umgegangen?
Welche Behandlungsmethoden haben Sie oder Ihr Angehöriger wahrgenommen?
Wie sind Freunde und Familie mit der psychischen Erkrankung umgegangen? Mit wem haben Sie über die psychische Erkrankung gesprochen?


Eine Sendung von Johanna Hirzberger, MMA.
Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Sendungsgäste im Funkhaus Wien:

Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Michaela Amering
Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Meduni Wien
Leiterin der Spezialambulanz für Integrative Psychosebehandlung
E-Mail
Homepage

Lisa Kainzbauer
hat bereits als Kind ihre psychisch kranke Mutter betreut
Fotografin und Studentin
E-Mail
Homepage

Dipl.-Ing.in Michaela Wambacher
Betroffene
Obmann-Stellvertreterin des Vereins "Achterbahn, Plattform von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen"
Tel: 0680/300 10 20
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

HPE Österreich: Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
Österr. Bundesverband für Psychotherapie
Forderungen von pro mente an die künftige Bundesregierung
Das Konzept "Recovery" erklärt
EX-IN Kurse: Experten durch Erfahrung in der Psychiatrie
Patientenbeteiligung - Konzepte und internationale Erfahrungen in der Psychiatrie
Unterstützung für Kinder mit Eltern mit psychischer Erkrankung
Pflaster für die Seele - eine online Pedition für bessere Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Österreich
Informationen zum Trialog des Vereins Freiräume

Buch-Tipps:

Michaela Amering, Margit Schmolke, "Recovery - Das Ende der Unheilbarkeit", Verlag: Psychiatrie Verlag; Auflage: 5 (1. Oktober 2011)

Jörg Utschakowski, Gyöngyvér Sielaff, Thomas Bock, Andréa Winter, "Experten aus Erfahrung - Peerarbeit in der Psychiatrie", Psychiatrie Verlag; Auflage: 1. Neuauflage (2. November 2015)

Asmus Finzen, "Stigma psychische Krankheit: Zum Umgang mit Vorurteilen, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen", Psychiatrie Verlag; Auflage: 1., Auflage 2013

Karen Glistrup, "Was ist bloß mit Mama los? Wenn Eltern in seelische Krisen geraten. Mit Kindern über Angst, Depression, Stress und Trauma sprechen", Verlag: Kösel; Auflage: 4 (6. Oktober 2014)

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