Charles Dickens

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Gedanken für den Tag

Brigitte Schwens-Harrant über Charles Dickens

"Menschen. Bloße Menschen." Zum 150. Todestag von Charles Dickens Gedanken der Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche", Brigitte Schwens-Harrant

Selten prägte ein reales Ereignis Literatur so sehr wie jenes, das Charles Dickens in seiner Kindheit selbst erlebt hat. Geboren 1812 als Sohn eines Marineschreibers, musste er als 12-Jähriger auf Schulbildung verzichten und in eine Schuhcremefabrik arbeiten gehen, während sein Vater im Schuldgefängnis festgehalten wurde, wo auch der Rest der Familie untergebracht war.

In einem zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten autobiografischen Fragment schrieb Dickens später nieder, wie sehr ihm diese Erfahrung zusetzte: "Unbeschreiblich ist die tiefsitzende Erinnerung daran, wie vollkommen vernachlässigt und ohne Hoffnung ich mich fühlte, mit welchem Elend in meinem jungen Herzen ich daran dachte, dass von Tag zu Tag alles, was ich gelernt, gedacht, woran ich mich erfreut und was meine Fantasie und meinen Ehrgeiz geweckt hatte, von mir wich, um nie wieder zurückzukehren."

Diese einschneidende und traumatisierende Erfahrung taucht in verfremdeter literarischer Form in vielen seiner Texte auf, wird in unzähligen Varianten und Verwandlungen in seinen Romanen wiederkehren und Weltliteratur werden. In "David Copperfield" etwa, jenem Roman, den Charles Dickens oft als seinen besten und liebsten bezeichnet hat: Da muss der kleine David in einer Weinhandlung Etiketten auf Flaschen kleben.

Kinder in himmelschreienden Verhältnissen, in aussichtloser Armut, in unbarmherzigen Waisenhäusern, allein und ausgesetzt, gedemütigt und geschlagen, klein gehalten und ausgebeutet, verkauft und verraten - es ist das Thema in Dickens literarischen Werken. Sie legen damit Zeugnis ab von den ökonomischen und sozialen Verhältnissen im beginnenden Industriezeitalter.

Kinder, die Macht des Kapitals und die Ohnmacht der Mittellosen: Das gehört bei Dickens zusammen. Es ist ein Thema. Nach Wiederlesen seiner Werke scheint mir: So deutlich wie er hat kaum jemand literarisiert, dass man den Zustand einer Gesellschaft auch daran erkennen kann, wie sie mit ihren Kindern umgeht.

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Rachel Portman/geb.1960
Vorlage: Charles Dickens/1812 - 1870
Gesamttitel: OLIVER TWIST / Original Filmmusik
Titel: The road to the workhouse
Orchester: The City of Prague Philharmonic Orchestra
Leitung: David Snell
Länge: 03:03 min
Label: Sony Classical/Soundtrax/Sony

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