Medizin und Gesundheit

Herzensangelegenheiten

Das Cor während und nach Corona

In den letzten Monaten hat sich die Aufmerksamkeit der Medizin in erster Linie auf die Bekämpfung der COVID-19-Epidemie beschränkt. Andere Bereiche sind dabei in den Hintergrund getreten. So berichten Kardiologen, dass die Zahl der Herzinfarkte zur Zeit des Lock-Downs um 40 Prozent zurückgegangen ist. Unbegreiflich - handelt es sich dabei doch um ein Ereignis, das man nicht planen und dessen Behandlung auf einen späteren, günstigeren Zeitpunkt vertagen kann. Wo sind die Patientinnen und Patienten also geblieben?

Rätsel um die verschollenen Patienten

Ein Rätsel - auch für die Herzspezialisten: "Vermutlich war es die Angst vor einer Infektion, bzw. auch die Rücksichtnahme auf das öffentliche Gesundheitssystem, die dazu geführt haben, leichtere Beschwerden zu unterschätzen und als nicht behandlungsbedürftig einzustufen", erklärt der Kardiologe Sebastian Reinstadler von der Universitätsklinik Innsbruck. Auch eine Überlagerung von COVID-19-Symptomen mit einem Infarkt seien denkbar, geht doch diese Virus-Infektion bekannterweise mit einer erhöhten Neigung zu Thrombenbildung und Gefäßverschlüssen einher. Eine Analyse der in 17 Österreichischen Katheter-Zentren erhobenen epidemiologischen Daten soll nun Aufschluss über die wahren Gründe liefern und demnächst im renommierten European Heart Journal publiziert werden.
Eine weitere Untersuchung, an der Sebastian Reinstadler ebenfalls maßgeblich beteiligt war, gibt zudem Hinweise darauf, dass auch die Zeitspanne vom ersten Auftreten der Herzbeschwerden bis zum Eintreffen in eine Klinik, länger war als sonst.

Spätschäden zu befürchten

Auch wenn viele Patienten ihre Infarkte scheinbar gut überstanden haben, besteht doch die Befürchtung, dass sich möglicherweise Spätschäden entwickeln und in ein paar Jahren die Zahl der Herzinsuffizienz-Patienten zunehmen könnte. Der Kardiologe Reinstadler appelliert daher an die Betroffenen, sich zumindest jetzt diesbezüglich abklären zu lassen.

Schweren Herzens durch die Krise

Auch aus Sicht der Psychokardiologie sollte dem Herz in der Zeit nach der Krise vermehrtes Interesse geschenkt werden. Angst, psychischer Stress und Vereinsamung gelten schließlich als Risikofaktoren für kardiologische Erkrankungen. "Die seelischen und körperlichen Auswirkungen des Social Distancing treten oft erst jetzt zu Tage", so der Internist und Psychotherapeut Otto Ambros, Leiter der "Arbeitsgruppe Kardiologische Psychosomatik" der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft.

Erfahrungen bisheriger Lock-Downs

Erfahrungen aus früheren regionalen Lock-Downs zeigen, dass der Stresslevel bei den Betroffenen steigt und auch die Wahrscheinlichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung zunimmt, so Otto Ambros. Dies zeigen Daten aus Untersuchungen zu vergleichbaren Maßnahmen bei der ersten SARS-Epidemie und bei einzelnen MERS-Ausbrüchen. Psychosoziale Beschwerden durch Isolation, Beziehungsprobleme oder Jobverlust führen zu einer Aktivierung des autonomen sympathischen Nervensystems. Dies kann Herzrasen, Beklemmungsgefühle, Schwindel oder beschleunigte Atmung auslösen. Diese Beschwerden können auf ein echtes kardiales Ereignis oder auf eine Panikattacke hinweisen. Die Schäden, die das Virus an der Seele hinterlässt, führen zu Ängsten, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen.

So ist es nun an der Zeit, all diese Dinge aufzuarbeiten und dem Herz wieder jene Beachtung zu schenken, die es verdient.
In der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors wirft Dr. Ronny Tekal mit seinen Gästen einen Blick auf das Herz, als Pumpe, aber auch als metaphorischer Sitz der Seele.

Sendungsvorbereitung und Moderation: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

War die Zeit der Heimquarantäne für Sie hart?

Haben Sie in der Zeit des Lock-Downs Herzbeschwerden gehabt - und sind dennoch nicht zum Arzt gegangen?

Hatten Sie den Eindruck, dass kommuniziert wurde, dass Personen mit leichten Beschwerden besser keine medizinische Institution aufsuchen sollen?

Service

Sendungsgäste am Telefon:

Dr. Otto Ambros
Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie,
Arzt für Psychosomatische Medizin, Psychokardiologie und Psychotherapeut (KIP)
Leiter der Arbeitsgruppe Kardiologische Psychosomatik (ÖKG)
Maroltingergasse 54
A-1160 Wien
Tel: +43/ 1/ 495 58 55
E-Mail
Homepage

Priv.-Doz. Dr. Sebastian Reinstadler
Facharzt für Kardiologie
Universitätsklinik für Innere Medizin/Kardiologie
Anichstraße 35
A-6020 Innsbruck
Tel: +43/512/504/81315
E-Mail
Homepage

Info-Links:

Österreichische Kardiologische Gesellschaft (ÖKG)
Psychokardiologie (Kardionet, 2017)
COVID-19: Kardiologen melden unerwartet rückläufige Herzinfarkt-Zahlen in Österreich
(APA Presseaussendung der ÖKG)

Herz & Psyche (Internisten im Netz)
Wie Herz und Psyche zusammenhängen (Österreichischer Herzverband)
COVID-Folgeschäden: Genesen heißt nicht immer gesund (Zeit.de 5/2020)
Psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen (Kompetenznetz Public-Health Covid-19)
Soziale Isolation schädigt psychische Gesundheit (MDR, 5/2020)

Berufsverband Österreichischer PsychologInnen
Helpline 01/504 8000 (kostenlos und anonym)
E-Mail

Familienberatungsstellen "aufleben" Erzdiözese Wien
Telefonische Beratung, Videotelefonie und Videokonferenz
Informationen Mo-Fr 9.00-13.00
Tel: 0676/ 668 89 02
Homepage

Kriseninterventionszentrum
Tel.: 01/ 406 95 95


Bücher:

Rainer Schubmann, Silke Eckelt, "Psycho-Kardiologie Kompakt: Verständlich auf den Punkt gebracht", Spitta GmbH 2018

Christina Berndt, "Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft", dtv 2015

Gustav Dobos, Petra Thorbrietz, "Das gestresste Herz: Mit Naturheilkunde für ein längeres Leben", Scorpio Verlag 2019

Felix Schröder, Nina Weber, "Was das Herz begehrt: Wie wir unser wichtigstes Organ bei Laune halten", Edel Books 2017

Sendereihe

Gestaltung