Gustav Mahler

ÖNB

Gedanken für den Tag

Mirjam Jessa über Gustav Mahler

"Von Heimatlosigkeit und Erlösung". Anlässlich des 160. Geburtstages von Gustav Mahler erzählt die Journalistin und Ö1-Moderatorin Mirjam Jessa, wie der Komponist ihr Leben begleitet

In welchem Grundton schwingt die Welt? Die Welt ohne uns. Letzten März war mancherorts eine Stille zu erleben, wie sie uns so schnell wohl nicht wieder geschenkt wird. Das Hören, das Horchen auf Nuancen wurde wieder möglich und bedeutsam.

Also noch einmal die Frage: In welchem Grundton schwingt die Welt? Für Gustav Mahler ist es in seiner ersten Symphonie ein A, das alle Streicher zu Beginn über sieben Oktaven unisono spielen. Aber sie streichen nicht einfach ein A, wie Mahler ursprünglich dachte. Bei den Proben zur Uraufführung in Budapest hat der Komponist als Dirigent schnell gemerkt, dass das viel zu materiell klingt, viel zu starr. Erst dort ist ihm die Idee gekommen, das A als Flageolett-Ton spielen zu lassen, et voilà, das Bild, das ihm vorschwebte, war da: "Mit dem ersten Ton, dem langausgehaltenen Flageolett A" - so Gustav Mahler zu Natalie Bauer-Lechner - "sind wir mitten in der Natur: im Wald, wo das Sonnenlicht des sommerlichen Tages durch die Zweige zittert und flimmert".

Der Finger berührt beim Flageolett zart die Saite, was einen ätherischen Klang eine Oktave höher als die leere Saite erzeugt. Das von Mahler beschriebene Zittern und Flimmern symbolisiert für mich auch die Verletzlichkeit unserer Existenz, den dünnen Faden, an dem sie hängt. Was für ein Symbol, mit einem Flageolett-A sein gesamtes symphonisches Schaffen zu beginnen?! Und wie sich dann ein Element nach dem anderen meldet, meist in einer absteigenden Quart, dem Grundbaustein dieser Symphonie. Und wie hier Mahler eins zum andern setzt und uns auf diese Art auch unmittelbar miteinbezieht in seinen Schöpfungsakt. Bevor wir zum Nachdenken kommen, bewegen wir uns schon längst mit ihm in seiner Welt.

Das Komponieren - so Mahler - sei wie das Spielen mit Bausteinen, wobei aus denselben Steinen immer ein neues Gebäude entsteht. "Die Steine aber liegen von der Jugend an, die allein zum Sammeln und Aufnehmen bestimmt ist, alle schon fix und fertig da."

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Gustav Mahler/1860 - 1911
Titel: Symphonie Nr.1 in D-Dur
* Langsam, Schleppend, wie ein Naturlaut, im Anfang sehr gemächlich - 1.Satz (00:15:31)
Populartitel: Der Titan
Leitung: David Zinman
Orchester: Tonhalle Orchester Zürich
Länge: 15:31 min
Label: RCA 82876871562

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