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Vitamania ohne Ende


Der große Radiodoktor Ernährungsreport Teil 3: Warum Vitaminpräparate nicht harmlos sind

10.000e Kinder erblinden jährlich aufgrund eines Vitamin A-Mangels. Raucher, denen Vitamin A in einer Studie verabreicht wurde, starben häufiger an Lungenkrebs, als die Vergleichsgruppe, die ein Placbo einnahm.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich das Milliardengeschäft mit den künstlichen Vitaminpräparaten.
Alles begann Anfang der 1930, als dem späteren Nobelpreisträger Tadeus Reichstein die Synthese von Vitamin C gelang. Der Schweizer Konzern Hofmann La Roche benötigte dringend einen Verkaufsschlager - aber niemand wusste so recht, wofür künstliches Vitamin C eigentlich gut sein sollte. Und es bestand auch keine Nachfrage. Dennoch erwarb Hoffman La Roche die Patentrechte. Im benachbarten Deutschland entwickelte sich in dieser Zeit ein starkes Bewusstsein für den "gesunden Volkskörper". Und es wurde ein Krieg vorbereitet. Der Rest ist Geschichte.
Aus einem Produkt, das eigentlich niemand benötigte, wurde eines der umsatzstärksten Präparate aller Zeiten.
Vitamine werden seitdem vermarktet, um die Gesundheit zu schützen und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Auf die möglichen Nebenwirkungen und Risiken weisen die Hersteller nicht hin. Müssen sie auch nicht. Denn rechtlich gesehen sind Vitaminpräparate und andere Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel. Und die müssen keinen Wirknachweis erbringen. Muss ein Liter Milch ja auch nicht.
Mit anderen Worten: Die Wirkung der vielen, bunten Pillen wird nicht überprüft, bevor sie auf den Markt gelangen.
Besonders beliebt sind Multivitaminpräparate. Nach dem Motto: Ganz viele gesunde Stoffe und das in nur einer Tablette. Laut einer Erhebung der Arbeiterkammer Wien werden allerdings als kritisch eingestufte Vitamine und Mineralstoffe in solchen Multivitaminkapseln nicht vorsichtig genug dosiert. Und es kommt auch zu Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Stoffen: Nimmt man zum Beispiel zu viel Calcium zu sich, scheidet der Körper Magnesium aus.
In den letzten Jahrzehnten werden unseren Nahrungsmitteln immer größere Mengen an antioxidativen Zusatzstoffen beigemengt. Im selben Zeitraum gibt es eine Zunahme an Allergien. Zufall? "Nein", sagt der Chemiker Dietmar Fuchs, Leiter des Biozentrums der MedUni Innsbruck. Er forscht seit Jahren zum Thema Antioxidantien und sieht daher einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Konservierungsstoffen und Allergien.
Die medizinische Forschung ging jahrzehntelang davon aus, dass Vitamine vor Krebs schützen können. Es gab zahlreiche Untersuchungen dazu. Die größte Studie, die jemals zur Krebsprävention durchgeführt wurde, erfasste 35.000 Männer aus den USA, Kanada und Puerto Rico. Die eine Hälfte erhielt regelmäßig Vitamin E. Die andere ein Placebo. Die Auswertung ergab, dass die Männer aus der Vitamin Gruppe häufiger an Prostatakrebs erkrankten.
Für weltweite Ernüchterung sorgte bereits oben erwähnte die "finnische Raucherstudie". In der Hoffnung, dass die antioxidative Wirkung von Beta-Carotin zur Reduktion der Lungenkrebserkrankungsfälle führen könnte, wurden der Hälfte von 29.000 männlichen Rauchern täglich 15 bis 30 Milligramm dieses Provitamins verabreicht. Die andere Hälfte erhielt ein Placebo. Und auch hier erkrankten mehr Männer aus der Vitamin-Gruppe an Lungenkrebs.
Merke: Nicht jeder Vitamincocktail ist harmlos.

Eine Sendung von Lydia Sprinzl und Christoph Leprich.

Service

Interviewpartner:
Univ.-Doz. Dr. Maximilian Ledochowski
Facharzt für Innere Medizin und Ernährungsmedizin
Anichstrasse 17
A-6020 Innsbruck
Tel: +43 (0) 512 561350
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Univ.-Prof. Dr. Dietmar Fuchs
Chemiker und Leiter des Biozentrums der Medizinischen Universität Innsbruck
Christoph-Probst-Platz 1, Innrain 52
A-6020 Innsbruck
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Mag.a Christina Lachkovics-Budschedl
Ernährungswissenschaftlerin, Ernährungsberaterin
Friedrich Melzer-Straße 11
A-2326 Maria Lanzendorf
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Links:

Studie Zusammenhang Vitamin E und Prostatakrebs

die finnische Raucherstudie: Zusammenhang Beta-Carotin, Vitamin A und Krebs

die CARET-Studie

Effekte einer proteinoptimierten Ernährung in Kombination mit moderatem Krafttraining auf den postoperativen Verlauf bei älteren Patienten mit Hüftfraktur

Studie Präparate zum Muskelaufbau erhöhen das Hodenkrebs-Risiko

Arbeiterkammer Salzburg: Nahrungsergänzungsmittel: Wundermittel oder Konsumentennepp?

Medizin Transparent prüft Aussagen aus Medien, Werbung und Internet

Deutsche Verbraucherzentrale: Klartext zu Nahrungsergänzungsmitteln

Überdosierung bei Nahrungsergänzungsmitteln
AGES über Nahrungsergänzungsmittel

Filmisches:

ORF III: Die Vitaminlüge - Wie uns die Gesundheitsindustrie ködern will

Vitamania: the sense and nonsense of vitamins

Sendereihe