Michael Bünker

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Michael Bünker über Walter Benjamin

"Der Engel der Geschichte". Anlässlich von Walter Benjamins 80. Todestag erinnert der evangelische Theologe und emeritierte Bischof Michael Bünker an den Philosophen, dessen Einfluss auf die moderne Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enorm war

Wie sind Sie heute aufgewacht? War es sanft? Vielleicht sogar fröhlich? Oder mussten Sie wachgerüttelt werden? Für mich ist das das Unangenehmste, aus den Träumen gerissen und in den Tag gleichsam hineingestoßen zu werden. Es kann den Morgen, manchmal sogar den ganzen Tag verderben.

Diese Woche wird Ihnen ein Wachrüttler zugemutet. Sein Name: Walter Benjamin. Sein Todestag jährt sich am Freitag dieser Woche zum 80. Mal. Auf der Flucht vor den Nazis hat er sich in verzweifelter Lage das Leben genommen. Walter Bendix Schönflies Benjamin, so sein voller Name, wurde 1892 in Berlin als Kind wohlhabender Eltern geboren. Die Familie beging die jüdischen Feiertage, heißt es, aber genauso das christliche Weihnachtsfest.

Was war das für eine Welt, in die er hineingeboren wurde? Seine Kindheitseindrücke beschrieb Walter Benjamin in der "Berliner Kindheit um 1900". Der Text wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Berlin um 1900 war geprägt vom Streben nach wachsendem Wohlstand, vom festen Glauben an einen unaufhaltsamen Fortschritt und das alles war überstrahlt von einem immer aggressiveren Nationalismus, der letztlich in die Katastrophe von 1914 führte. Eine solche Kindheit ist nur dem Schein nach ein Paradies, meinte Walter Benjamin, sie ist zugleich die Hölle. Warum? Weil dort das Elend keinen Raum finden konnte. Es musste ausgeblendet und unsichtbar gemacht werden. Also alles nur wie ein Traum, wie ein Schlaf, den der Kapitalismus über die Menschen legt. Walter Benjamin wollte die Menschen aus diesem Traum wachrütteln.

Solche Wachrüttler haben es selten leicht. Walter Benjamins Leben zeigt es. Schon im Pariser Exil schrieb er in einem Brief: "Mein Leben so gut wie mein Denken bewegt sich in extremen Positionen. Es behauptet die Weite und die Freiheit, Dinge und Gedanken, die als unvereinbar gelten, neben einander zu bewegen. Aber ihr Gesicht erhält all das erst durch die Gefahr."

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Laurie Anderson
Gesamttitel: FRAUEN SIND WAS WUNDERBARES / Original Filmmusik
Titel: Strange angels
Solist/Solistin: Laurie Anderson /Gesang m.Begl.
Länge: 03:51 min
Label: WEA 9548326672

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