Zwischenruf

Regina Polak über den Körper

Die katholische Theologin und Religionssoziologin Regina Polak über Social Distancing und die Bedeutung der Körpersprache

Vergeblich gelächelt. Seit ich mit meiner Corona-Maske unterwegs bin, habe ich das Gefühl, dass mich niemand mehr anlächelt, und keiner mein Lächeln erwidert. Je länger es die Corona-Pandemie nötig macht, voneinander Abstand zu halten und unser Gesicht zu verbergen, umso mehr stellt sich mir die Frage: Wieviel Leiblichkeit brauchen Menschen, um gut leben zu können?

Leib: Das ist ein altmodisches Wort, das heute kaum noch jemand verwendet, um den menschlichen Körper zu bezeichnen. Es hat seine Wortwurzel im althochdeutschen LIP und bezeichnet den Körper und das ganze Leben. In der Philosophie verwendet man dieses Wort, um die Lebendigkeit des menschlichen Körpers zu bezeichnen. Der Begriff "Leib" bringt auch zum Ausdruck, dass der Mensch nicht nur einen Körper hat, sondern sein Körper ist. Es bin ich, die hört - nicht mein Ohr. Deshalb kann man das Körperliche und das Seelische zwar unterscheiden, aber nicht trennen.

In unserer Kultur führen zahlreiche Techniken - vom Fitnesstracker, der unsere Körperdaten misst, bis zu Methoden aus dem Gesundheits- oder Kosmetikbereich, die uns helfen, den Körper zu optimieren - dazu, dass wir in unserem Körper nicht nur leben, sondern ihn auch beobachten können. Das ist eine besondere menschliche Fähigkeit, die Reflexion möglich macht. Langfristig entfremdet ein solches Verhalten uns aber von uns selbst.

Denn der Leib ist mehr als ein Objekt, das man pflegen und fit halten kann. Er ist das Medium, mit dem wir mit anderen Menschen und der Wirklichkeit im Dialog stehen. Er lässt uns wahrnehmen, wie wir uns in der Wirklichkeit vorfinden. Er ist das Symbol für uns selbst. Durch ihn kommunizieren wir mit anderen Menschen. In der Begegnung mit leibhaftigen anderen spüren wir uns selbst. Durch die Begegnung mit fremden, unbekannten Menschen werden wir inspiriert und unser Horizont weitet sich. Ohne leibhaftige Begegnungen und Berührungen werden Menschen langfristig krank.

Das Social Distancing lässt mich diese Zusammenhänge deutlich spüren - meistens als Mangel. Wenn ich mich primär im digitalen Raum aufhalte, fehlen mir wichtige Informationen über die anderen. Mir fehlt die Körpersprache, die Vielfalt der Perspektiven, die Bewegung. Ich weiß nicht genau, wie es anderen geht. Wenn ich immer nur die sehe, die ich gut kenne, vermisse in die Anregung durch andere. Ich vermisse den realen Raum, denn das physische Zusammensein mit leiblichen Menschen trägt mich.

Die Einschränkungen der Corona-Pandemie haben mich neu sensibilisiert für die Frage nach der Bedeutung des Körperlichen. Warum sind wir auf unsere Leiblichkeit und leibhaftige Begegnungen angewiesen, um gut leben zu können? Die Corona-Pandemie erinnert mich zudem an meinen christlichen Glauben, dass Gott in Christus Fleisch angenommen hat. Für mich bedeutet das auch, dass Gott den Leib jedes einzelnen Menschen in seiner ganzen Endlichkeit, mit all seinen Schwächen, Fehlern und Bedürfnissen bejaht und annimmt - mehr noch: dem Leib eine heilige Bedeutung zuspricht. Wie nach Gott sehne ich mich nach endlich wieder freien leibhaftigen Begegnungen. Solange das nur schwer möglich ist, wünsche ich mir, dass wir andere Möglichkeiten suchen, einander unsere Zuneigung zu zeigen - zum Beispiel, dass wir aussprechen, was ein hinter der Maske verborgenes Lächeln nicht deutlich machen kann: Bitte, danke, ich freue mich.

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: John Dowland
Gesamttitel: Lautenmusik der Renaissance
Titel: Melancholy Gaillard
Solist/Solistin: Daniel Benkö /Laute
Länge: 02:23 min
Label: Teldec 844009

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