Wasser, Gras und Sonnenuntergang

AP/ROBERT F. BUKATY

Gedanken für den Tag

Julia Schnizlein über Kraft- und Informationsquellen

"Zu den Quellen". Die Pfarrerin der Lutherischen Stadtkirche Wien, Julia Schnizlein, fragt nach moderner Quellenkritik

Denke ich an Kraftquellen, habe ich Bilder von Bäumen und Flüssen im Kopf. Von Orten, an denen ich entspannen und die Seele baumeln lassen kann. Eine ganz andere Kraftquelle habe ich während des Lockdown entdeckt. Sie hat weniger mit Erholung, als vielmehr mit Befreiung zu tun.

Für mich hat sich das Entrümpeln als Quelle ungeahnter Freiheit und Kraft entpuppt. Ich habe mir heuer die Zeit genommen, um endlich einmal all die Dinge zu betrachten, die sich im Lauf der Jahre in unserem Zuhause angehäuft habe. Da waren Dinge, an deren Zweck ich mich nicht mal mehr erinnere. Dinge, die aus falsch verstandener Höflichkeit ihr Dasein als Staubfänger in vollgestopften Regalen fristen. Dinge, von denen ich nicht mal sicher bin, ob sie je mir gehört haben.

Alles habe ich noch einmal in die Hand genommen, es betrachtet und mich dann von sehr vielem getrennt. Und mit jedem Stück Freiraum, den ich mir zurückerobert habe, konnte ich wieder freier atmen.

Viele haben dieses Jahr auch dazu genutzt, um ihr Leben zu entrümpeln. Die Zeit des Lockdown hat uns ja vor Augen geführt, wie wenig äußere Anreize wir eigentlich zum Leben brauchen. Für manche war da die Erkenntnis, dass ein Leben ohne Dienstreisen, Fernflüge und Geschäftsessen überhaupt möglich ist. Dass auch ein Dasein ohne tägliches Fitnessstudio, neue Kleidung oder frischen Germ Sinn hat. Und bei einigen ist damals die leise Hoffnung aufgeflackert, dass sich diese Einsichten auch über die Phase des Lockdown hinaus verfestigen würden.

Aber es braucht eben auch Geduld und Disziplin, damit das Entrümpeln nachhaltig bleibt. Damit der Ballast des Alltags mich nicht allzu schnell wieder in Besitz und mir damit die Luft zum Atmen nimmt. Am schwersten ist es vermutlich, sich von all dem seelischen Ballast zu trennen, den wir meist Jahrzehnte unbemerkt mit uns herumschleppen: Die Angewohnheit, allen alles recht machen zu wollen. Das Gefühl, immer funktionieren zu müssen. Das Bedürfnis nach Anerkennung und die Angst, nicht zu genügen. Die Sorge, selbst zu kurz zu kommen und der Wunsch, gesehen zu werden.

Um all das zu entrümpeln, braucht es Zeit und Mut. Zeit, diese Muster oder Angewohnheiten als Ballast wahrzunehmen. Und Mut, sich von diesem Ballast loszumachen.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Philipp Telemann
Album: TELEMANN & LUTHER: "EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT"
* Andante - 3.Satz (00:01:29)
Titel: Sonate für Violine, Viola da gamba, Cembalo, Traversflöte und Oboe d'amore in G-Dur TWV 43:G13
Ausführende: Concerto Melante
Leitung: Raimar Orlovsky
Ausführender/Ausführende: Verena Fischer /Traversflöte
Ausführender/Ausführende: Saskia Fikentscher /Oboe d'amore
Ausführender/Ausführende: Raimar Orlovsky /Violine
Ausführender/Ausführende: Ulrich Wolff /Viola da gamba
Ausführender/Ausführende: Léon Berben /Cembalo
Länge: 01:29 min
Label: deutsche harmonia mundi 889853

weiteren Inhalt einblenden