Kopfsteinpflaster

AP/CTK/VLADIMIR PRYCEK

Gedanken für den Tag

Jussef Ghannam über sein Leben in Österreich

"Mein Syrien - mein Österreich". Als 15-Jähriger musste Jussef Ghannam flüchten. In einer österreichischen Familie lernte er Deutsch und besucht seit drei Jahren das Camillo-Sitte-Bautechnikum in Wien

Wir waren vor dem Krieg in unser Haus aufs Land geflüchtet. Nach zwei Monaten hat mein Vater geglaubt, die Situation in Aleppo sei sicher genug und wir sind zurückgefahren.

Wir haben sehr viel Militär auf den Straßen gesehen und wurden ständig von der Polizei kontrolliert. Auch in Aleppo wurde das zu unserem Alltag. Die Schulen sind geschlossen worden, weil sie als Schutzräume für obdachlos gewordene Menschen und Flüchtlinge gedient haben. Wir Kinder durften uns nur noch in den zwei, drei Straßen bewegen, die in der Nähe unseres Hauses waren. Fußballtraining, Schule, Verwandtenbesuche waren unmöglich geworden.

Auch unser Haus musste gegen Scharfschützen gesichert werden. Ein Teil unserer Fenster wurde zugemauert, die Wassertanks in Sicherheit gebracht. Es gab immer wieder wochenlang weder Wasser noch Strom, die Generatoren liefen abends acht Stunden lang. Mein Vater hatte ein großes Lebensmittellager angelegt, weil die Versorgung der Bevölkerung immer schlechter wurde. Militärflugzeuge, Hubschrauber, Schüsse, bewaffnete Soldaten, all dies ist von Tag zu Tag nähergekommen. Auch unser Haus ist beschossen worden, zahlreiche Nachbargebäude zerbombt.

Wir haben versucht, mit der Situation zurande zu kommen. Mit der Zeit konnte ich wieder in eine Schule gehen, aber auch diese Tage waren oft mit Gefahren verbunden. Ich bin mehrmals von Milizen auf dem Schulweg beschossen worden, aber wir waren Kinder und haben diese Gewalt oft gar nicht ernst genommen.

Einmal aber bin ich willkürlich von Soldaten der syrischen Armee aus einer Gruppe von Menschen herausgeholt worden, musste ihnen zu Fuß folgen und mithelfen, eine Schutzmauer aus Kiessäcken zu bauen. Die Soldaten wollten diese Arbeit nicht selbst verrichten, weil sie vor den gegnerischen Scharfschützen, die überall positioniert waren, Angst hatten. Der Ort, mitten in Aleppo unter der Festung war als besonders gefährlich bekannt, weil sich dort Bewaffnete der verschiedenen Kriegsparteien verschanzt hatten.

Nach diesem Erlebnis, das nur ein paar Stunden gedauert hat, bei mir aber Todesangst ausgelöst hat, entstand der Plan, dass meine Brüder und ich das Land verlassen sollten, bevor man uns in den Krieg einzieht. Ich war damals 14 Jahre alt und hatte schon vier Kriegsjahre miterlebt.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Nick Cave
Komponist/Komponistin: Warren Ellis
Album: WHITE LUNAR
Titel: Movin on/instr. / aus dem Film "The assassination of Jesse James by the coward Robert Ford" / "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford"
Ausführende: Nick Cave /Instrumental
Ausführende: Warren Ellis /Instrumental
Länge: 02:31 min
Label: Mute/EMI 9646632 (2 CD)

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