Jussef Ghannam über sein Leben in Österreich

13. November 2020, 06:56

Ein Jahr nach meiner Flucht aus Aleppo habe ich schon recht gut Deutsch gesprochen und lernte meine neue Heimat allmählich kennen. Ich wurde von einer Pflegefamilie aufgenommen, ging in die Schule und machte meine ersten Erfahrungen mit den Menschen in Wien.

Manchmal denke ich, es ist gut, dass ich am Anfang überhaupt nichts mitbekommen habe von den politischen Diskussionen über uns syrische Flüchtlinge. In meiner Familie in Aleppo und in der ganzen Stadt hatte ich als Kind nie mit Rassismus zu tun gehabt. Ich glaube, es war kein Thema. In Aleppo haben mehrere Religionen friedlich nebeneinander gelebt. Man konnte eine Moschee neben einer Kirche sehen und hören, wie die Glocken läuten und der Muezzin ruft. Viele Muslime in Aleppo haben Weihnachten und Silvester gemeinsam mit den Christen in der Stadt gefeiert. Auch das Zuckerfest zum Ende des Ramadan war ein Fest für alle.

Hier in Wien empfinde ich manchmal eine gewisse Distanz mir gegenüber, sobald ich spreche und klar wird, dass ich kein Österreicher bin. Ich selbst aber fühle mich hier wie zu Hause. Ich kenne die Stadt schon besser als Aleppo, weil ich dort noch ein behütetes Kind war, das mitten im Krieg aufgewachsen ist. Hier gestalte ich mein Leben selbst und frei, schließe bald meine Berufsausbildung ab und hätte nur noch einen Wunsch: dass auch mein Vater, der durch eine Bombe schwer verletzt worden ist, hier mit uns in Österreich in Frieden leben könnte.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler

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• Nebenan: Syrien