Thomas Bernhard

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Gedanken für den Tag

Hubert Gaisbauer über Thomas Bernhard

"Zwei Minuten Finsternis" - Thomas Bernhard. Zum neunzigsten Geburtstag. Ein Nachdenken. Ja, man darf Thomas Bernhard lieben, meint Kulturpublizist Hubert Gaisbauer

Anlässlich der Aufführung von Thomas Bernhards Schauspiel "Der Ignorant und der Wahnsinnige" - 1972 bei den Salzburger Festspielen - kam es zu einem Skandal. Am Ende sollte es nämlich im ganzen Theater total finster sein. Auch die Notlichter sollten verlöschen. Das wurde als unzumutbar verboten. Daher fand nach der Premiere keine weitere Vorstellung statt. Thomas Bernhard verweigerte jeden Kompromiss. "Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus", erklärte er.

Es gibt um Thomas Bernhard so viele abgenutzte Klischees und kluge Expertisen, dass einem die Lust am Lesen vergehen könnte. Doch die Herausforderung und die Lust daran - sind stärker. Darum immer wieder Thomas Bernhard lesen: Weil man dabei die Augen - fast im Spiel und im Spiegel - an tiefe innere Finsternis gewöhnen kann.

Man darf Thomas Bernhard lieben. Wegen der radikalen Entlarvung von Lüge und Hohlheit, von Entmündigung durch falsche Religion und Zerstörung durch schwarze Erziehung, wegen seiner bösartigen Aufdeckung von Bösartigkeit. Ich gebe zu, dass ich mich nicht satt sehen kann an den Interviews, die oft einen abweisenden Menschen zeigen, dem es aber dann doch nicht recht gelingen will, ein Schmunzeln in den Mundwinkeln zu verbergen.

Ich liebe ihn, wenn er oft an meiner Stelle sagt, wozu ich selber zu wohlerzogen oder zu feige bin. Wenn er die "Zauberflöte" seine Lieblingsoper nennt und darin besonders die Arien der Königin der Nacht und das Duett "Bei Männern, welche Liebe fühlen". Die Königin der Nacht, sagt er, - das ist der bestirnte Himmel Kants - und Papageno, das ist Adalbert Stifter. Man möchte ihn dafür umarmen - aber das war ihm eher zuwider.

1987 gibt Thomas Bernhard eine Sammlung von Gedichten der Christine Lavant heraus. Im Vorwort schreibt er: "Diese Auswahl folgt nur meinem Verstand, keinem anderen". Ich wandle den Satz für mich ab: Diese und die folgenden "Gedanken für den Tag" in dieser Woche folgen "nur meinem Verstand, keinem anderen."

Service

"Der Ignorant und der Wahnsinnige" und "Ein Fest für Boris" in: Thomas Bernhard, "Stücke I", Suhrkamp Verlag
Thomas Bernhard (Hg.), "Christine Lavant. Gedichte", Bibliothek Suhrkamp
Thomas Bernhard, "Ereignisse", Suhrkamp Taschenbuch
Thomas Bernhard, "Heldenplatz", Verlag Suhrkamp
Thomas Bernhard, "Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft", Verlag Suhrkamp
Thomas Bernhard, "Holzfällen. Eine Erregung", Verlag Suhrkamp
Thomas Bernhard, "Auslöschung. Ein Zerfall", Verlag Suhrkamp
Thomas Bernhard, "Gesammelte Gedichte", Verlag Suhrkamp

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Titel: Französische Suite für Klavier Nr.1 in d-moll BWV 812
* Sarabande - 3.Satz (00:02:51)
Solist/Solistin: Glenn Gould /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: CBS MK42267

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