Büste von Gotthold Ephraim Lessing

DPA/MATTHIAS HIEKEL

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Gotthold Ephraim Lessing

"Über den Graben springen". Lessing könne auch heute vielen aus dem Herzen sprechen, meint die Religionspsychologin und evangelische Theologin Susanne Heine

Mit 20 Jahren schreibt Lessing das Lustspiel "Die Juden". Die Erwartung des Publikums damals kann ich mir vorstellen: Wieder einmal über die Juden lachen und schimpfen.

Aber die Story geht anders: Ein Gutsbesitzer und Baron wird von Räubern überfallen. Ein Reisender kommt vorbei und rettet den Baron. Die biblische Erzählung vom barmherzigen Samariter, eine Lieblingsgeschichte von Lessing, schimmert durch. Die beiden freunden sich an, die Tochter des Barons und der Reisende verlieben sich.

Da gibt der Reisende sich zu erkennen: "Ich bin ein Jude." Der Baron erschrickt: "Ein Jude? Grausamer Zufall!" Keine Hochzeit, kein Happy End. Mischehen mit Juden waren damals in Preußen verboten. Beugt sich Lessing den Gesetzen? Unwahrscheinlich. Meldet sich Lessings Vaterbild zu Wort: Kein Liebesglück für die Kinder? Möglich. Ein offener Schluss, der das Publikum herausfordert, Vorurteile ad acta zu legen? Ja, denn die Bitte des Juden zum Abschied, "künftig von meinem Volke etwas gelinder" zu urteilen, ist die Bitte Lessings an sein Publikum.

Mit viel Geschick verbindet Lessing antisemitische Stereotype mit den ruhigen Reaktionen des Juden. Die Juden seien Betrüger, ein gottloses Gesindel, ein "Volk, das der liebe Gott verflucht hat". So denken sie alle - nur auf der Bühne? Dagegen der Jude: "Ich bin kein Freund allgemeiner Urteile über ganze Völker." Ich glaube, "dass es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne".

Ein Rezensent ist empört: "Ein edler und hilfsbereiter Jude? Unmöglich!" Lessing kämpft vergeblich gegen Vorurteile, die jüdischen Menschen gleiche Bürgerrechte verwehren. Zugleich beginnt seine lebenslange Freundschaft mit dem jüdischen Gelehrten Moses Mendelssohn, dem Großvater des Komponisten: Sie tauschen Ideen aus, schreiben gemeinsame Texte, unterstützen einander im Falle des Angriffs auf ihre Integrität.

Übrigens: Gehen Sie in Wien zum Judenplatz. Dort steht das Lessing-Denkmal und schaut auf die Reste einer zerstörten Synagoge.

Service

Friedrich Vollhardt, "Gotthold Ephraim Lessing. Epoche und Werk", Verlag Wallstein
Rüdiger Scholz, "Die heimliche Autobiographie des Gotthold Ephraim Lessing", Verlag Königshausen u. Neumann
Monika Fick, "Lessing-Handbuch", Verlag J. B. Metzler

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Capel Bond/1730 - 1790
Album: THE ENGLISH ORPHEUS VOL.8 : CAPEL BOND - SIX CONCERTOS IN SEVEN PARTS
* Andante - 1.Satz (00:03:03)
Titel: Concerto Nr.6 in B-Dur für Kammerorchester
Konzert
Orchester: The Parley of Instruments Baroque Orchestra
Leitung: Roy Goodman
Länge: 03:03 min
Label: Hyperion 66467

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