Hannelore Reiner

APA/GEORG HOCHMUTH

Zwischenruf

Hannelore Reiner über Zusammenhalt

"Vom Anderssein und vom Zusammenhalten" von Hannelore Reiner, evangelische Theologin, Pfarrerin und langjährige Oberkirchenrätin aus Attersee in Oberösterreich

Werbetexter bringen mich immer wieder zum Schmunzeln. Etwa mit der Zeile: "Wir oberösterreichische Zusammenhalter". Zusammenhalten, das muss offensichtlich betont werden, wenn ein Land aus vier Vierteln besteht und zwischen Industrie- und Agrarland, zwischen alteingesessenen Bürgerinnen und Bauern und Zugezogenen aus aller Herren Länder einen Ausgleich finden muss.

Zusammenhalt ist nicht selbstverständlich. Er bedeutet ja nicht: Wir kleben aneinander, wir haben dieselbe Färbung in der Sprache oder gar: Wir marschieren in dieselbe Richtung. Diese Art von Zusammenhalt wurde zwar in Oberösterreich durch die Jahrhunderte hindurch von den jeweiligen Herrschenden immer wieder verordnet, besonders erschreckend in der Zeit des Nationalsozialismus.

Aber selbst da gab es Menschen, die sich aus der von oben diktierten Gleichschaltung lösten und der Stimme ihres Herzens folgten, wie etwa eine Mary Holzhausen aus dem Kremstal, die ihre Lebensmittelvorräte unter den ausgehungerten ungarischen Jüdinnen und Juden, die an ihrem Haus vorbeigetrieben wurden, verteilte, trotz strengem Verbot von deren Bewachern, oder ein Franz Jägerstätter, der dem Regime die Stirne bot, aus der Kraft seines Glaubens, und dafür mit dem Leben bezahlte.

Zusammenhalt ist für eine Gemeinschaft wichtig. Er ist allerdings nur dann eine wunderbare Tugend, wenn er gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden offen ist. Ich bin in einer evangelischen Familie aufgewachsen, deren Wurzeln zurückgehen auf die Zeit des sogenannten Geheimprotestantismus. Über vier Generationen konnten damals protestantische Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher ohne Pfarrer und Gemeinden ihren Glauben im Verborgenen bewahren, weil sie in besonderer Weise zusammenhielten und meist des Lesens kundig waren und diese Kunst an Hand von Bibeln und Gebetbüchern ihren Kindern weitergaben, lange vor der allgemeinen Schulpflicht. Das war verbotenes Homeschooling im 17. und 18. Jahrhundert.

Für mich als evangelisches Kind war es nicht einfach, im stark römisch-katholisch geprägten Dorf aufzuwachsen. Umso dankbarer war und bin ich für den Zusammenhalt in der kleinen Pfarrgemeinde, aber auch für katholische Freunde und Freundinnen, die - über alle Unterschiede hinweg - mir eine unbeschwerte Kindheit geschenkt haben.

Wie sieht Anderssein heute aus? In vielen Restaurants in Oberösterreich arbeiten heute Menschen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern und mit vielerlei Muttersprachen erstaunlich gut zusammen. Besser: Anderssein heute: Ich denke an ein junges Mädchen, das vor ca. vier Jahren mit Bruder und Vater aus Afghanistan nach Oberösterreich gekommen ist. Die Mutter wagte den gefährlichen Fluchtweg mit ihren kleineren Geschwistern nicht. So versorgte die 15-Jährige ihre Familie und jobbte den Sommer über in einem Gasthaus als Kellnerin. Dabei trug sie ein Kopftuch, was manchen Gästen störend auffiel. Ihre Chefin aber unterstützte sie und stärkte ihr den Rücken. Heute besucht die junge Kellnerin eine HTL. Aus der Verbindung zu ihren ehemaligen Unterstützern ist Freundschaft geworden. Diese Form von Zusammenhalt lob ich mir.

Selbst in den langen Monaten des Lockdowns versuchten Wirte und Hoteliers, ihre Mitarbeitenden über den Weg der Kurzarbeit zu halten. Das könnte zukunftsweisend für unser Miteinander auf vielen Gebieten sein, damit "Wir oberösterreichische Zusammenhalter" kein billiger Werbeslogan, sondern gelebte Wirklichkeit sei, in meinem Heimatbundesland Oberösterreich, aber auch über dessen Grenzen hinaus.

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter Rosmanith
Album: AANS
Titel: Ananas/instr.
Solist/Solistin: Peter Rosmanith /Instrumental
Länge: 06:40 min
Label: Extraplatte EX 4172 (Promo-CD)

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