Der Psychoanalytiker und Publizist Alexander Mitscherlich in Düsseldorf.

DPA/WILHELM BERTRAM

Salzburger Nachtstudio

Die vaterlose Gesellschaft

Die vaterlose Gesellschaft
Auf den Spuren Alexander Mitscherlichs
Gestaltung: Katrin Mackowski

"Den Vater kann man bewundern; man kann bei ihm geborgen sein oder ihn fürchten - schließlich ihn missachten. Man kann in verschiedenen Augenblicken alles zusammen tun", schreibt der Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908 - 1982) in seinem Werk "Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft".

Dieses Buch machte Furore, sorgte für öffentliche Auseinandersetzungen und wurde ein Bestseller. Mitscherlich sah das Erlöschen des Vaterbildes in der modernen Massengesellschaft als Verlust traditioneller und Orientierung gebender Autoritäten. Das klingt moralisch, das liest sich provokant angesichts von Feminismus oder Gendertheorien. Doch gerade jetzt, ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen, bildet die Metapher der "vaterlosen Gesellschaft" für das Verständnis von Entwicklung und Krisen moderner Gegenwartsgesellschaften ein unverzichtbares Instrumentarium, sagt der Soziologe Johann Schülein.

Vor dem Hintergrund aktueller sozialwissenschaftlicher und psychoanalytischer Entwicklungen streicht er zentrale Aspekte in Mitscherlichs Text hervor: Vaterbilder und Vaterkonzepte der Psychoanalyse, Männlichkeit, Neid, Familie, Leit- und Vorbilder, Demokratie und Bildung. Auf der Strecke bleiben: die Fähigkeit zu Beziehungen - oder in der Sprache der Psychoanalyse ausgedrückt, die Fähigkeit zu "Objektbeziehungen". "Man hängt sein Herz nicht mehr an etwas", zitiert Johann Schülein den "Vor-Vater" Mitscherlich.

Zwar werden Gegenstände wie I-Phone, aber auch das Kommunizieren über soziale Medien, schnell vereinnahmt und besetzt, aber was bedeutet das? Was bedeutet diese übermächtige Verbindung zu den Dingen im virtuellen Raum, der den körperlichen Kontakt und das Raumempfinden, den gesamten sozialen Kontakt entschieden verändert? Die Qualität von Beziehungen innerhalb der Familie, zu Freunden, aber auch die Wahlen eines politischen Vertreters, stehen kritisch zur Debatte. Die "Objektlibido" findet keinen festen Halt mehr, nicht in den Mitmenschen, nicht in den Dingen, so lautet Schüleins Befund. Wir passen uns zwar schneller an, werden aber dadurch kritikunfähiger, träge und nimmersatt - oder leben in einem unstillbaren Identifikationshunger und gehen doch leer aus.
Ein Salzburger Nachtstudio von Katrin Mackowski

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