Menschen von oben fotografiert

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Zwischenruf

Lars Müller-Marienburg über mangelnde Solidarität in der Krise

"Am rettenden Ufer". Der Superintendent der evangelischen Kirche in Niederösterreich hofft auf Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich im Kampf gegen die Pandemie

Die Erzählung vom Wunder am Schilfmeer hat traditionell einen fixen Platz in christlichen Ostergottesdiensten. Meist in der Osternacht. Manchmal am Ostermorgen. Das historische Volk Israel ist gerade dabei, aus Ägypten zu fliehen. Am Schilfmeer geschieht ein Wunder: Das Wasser im Meer weicht so weit zurück, dass das Volk trockenen Fußes durch das Meer gehen kann. Die ägyptischen Soldaten verfolgen sie. Aber für sie wird der Meeresboden zur Falle. Denn erreichen die Israeliten das andere Ufer, kommt das Wasser zurück. Die Ägypter und ihre Pferde ertrinken.

Gott rettet die Unterdrückten, er schenkt den Versklavten ein Leben in Freiheit. Es ist eine wunderbare Befreiungsgeschichte. Aber es ist eine Befreiungsgeschichte mit einem hohen Preis. Das Leben der einen kostet den Tod der anderen: Die Ägypter sterben. In der jüdischen Tradition ist man sich dessen bewusst. Beim Pessachfest, wo die Befreiung aus Ägypten gefeiert wird, gibt es immer auch einen Moment der Trauer für die Toten der Befreiung.

Die Auferstehungs- und Befreiungshoffnung heute heißt: Die Pandemie soll endlich zu Ende gehen. Endlich soll kein Menschenleben mehr von dieser Krankheit bedroht sein. Endlich soll das tot am Boden liegende öffentliche Leben auferstehen. Endlich sollen die Existenzängste der Wirte und Hotelbesitzerinnen ein Ende haben. Jedes einzelne Leben und das Leben als Gesellschaft soll vom tödlichen Virus befreit werden.
Ich beobachte mit Sorge, dass in diesem Kampf Opfer in Kauf genommen werden. Hauptsache, ich komme schnell durchs Schilfmeer hindurch. Wer hinter mir ersäuft, scheint egal zu sein. In den ersten Wochen nach den Impfstarts haben Impfvordrängler und Vordränglerinnen Schlagzeilen gemacht. Natürlich kann ich alle verstehen, die schnell geimpft werden wollen. Aber: Mit Nächstenliebe, mit Sorge für die Schwachen, zu der alle Christinnen und die Gläubigen vieler anderer Religionen aufgefordert sind, hat das nichts zu tun.

Zwischen Ländern ist ein großer Verteilungskampf um die Impfstoffe entbrannt. Wer hatte die richtige Strategie beim Bestellen? Ich kann alle Politiker und Politikerinnen verstehen, die Erfolge gegen das Virus für die eigenen Leute sehen wollen. Schließlich werden sie ja im eigenen Land gewählt. Und natürlich wünsche ich mir auch möglichst bald eine Normalität, dort, wo ich wohne. Aber solidarisch ist das nicht: Die wirklich große Ungerechtigkeit herrscht aus meiner Sicht nicht zwischen Österreich und anderen EU-Ländern, wo die Impfung entweder ein wenig schneller oder ein wenig langsamer vorankommt - sondern zwischen unseren reichen Ländern und den armen Ländern, wo teilweise noch kaum eine Impfdosis angekommen ist.

So eine Auferstehungshoffnung ist eine sehr beschränkte Hoffnung für sich selbst, die eigene Familie, für das eigene Land. Dass andere zurückbleiben, spielt in diesem Denken keine Rolle. Hauptsache "wir" sind am rettenden Ufer.

Gerade heuer, in einem Jahr der Bedrohung, muss aus Sicht des Evangeliums deutlich werden: Die Auferstehung, auf die Christinnen und Christen hoffen, ist eine Hoffnung für alle. Es ist eine Hoffnung, in der genug Leben da ist. Es ist eine Hoffnung, in der es keinen Verteilungskampf braucht, keine Opfer, damit ein paar wenige überleben. Es ist eine solidarische Hoffnung, weil die Armen nun die gleichen Chancen haben wie die Reichen.

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Moritz Weiß
Album: SPHERES
Titel: Psalm/instr.
Ausführende: Moritz Weiß Klezmer Trio
Ausführender/Ausführende: Moritz Weiß /Klarinette
Ausführender/Ausführende: Niki Waltersdorfer /Gitarre
Ausführender/Ausführende: Maximilian Kreuzer /Kontrabass
Länge: 05:30 min
Label: KunstRäume Records KR17002

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