Hubert Gaisbauer über Joseph Beuys

29. Mai 2021, 06:56

Es gibt Kunst, die man eigentlich nicht sehen möchte. Die Installation "Zeige deine Wunde" von Joseph Beuys aus dem Jahr 1976, im Münchner Lenbachhaus, gehört dazu. Ein imaginäres Sterbezimmer, vollkommen rätselhaft in seiner zweisamen Trostlosigkeit. Je zwei Leichenbahren, Stielgabeln und Schürhaken, diverse mit Fett gefüllte Behälter und darüber auf zwei schwarzen Schultafeln geschrieben: "Zeige deine Wunde".

Viele Ratlose suchen einen Ausweg darin, dass sie meinen, wer sich seiner Verletzbarkeit stellt und seine Wunde offenbart, könne Heilung erfahren. Es ist denkbar, dass - abseits aller Legendenbildung - die schweren Verletzungen, die Joseph Beuys während seines freiwilligen Kriegseinsatzes erlitten hat, nicht heilen wollende Wunden verursacht haben. Seelische Wunden. "Mein Kopf wurde zurechtgeschossen", sagt Beuys einmal. Vielleicht ein Bekenntnis des Irrtums der frühen Jahre - als der Hitlerjunge am Sternmarsch zum Nürnberger Parteitag teilnimmt und sich dann für zwölf Jahre der Wehrmacht verpflichtet.

Nach britischer Kriegsgefangenschaft entscheidet er sich endgültig, Bildhauer zu werden. Dennoch Orientierungslosigkeit. Dass ihm seine Braut den Verlobungsring zurückgeschickt hat, löst schwere Depressionen aus. Freunde beschreiben die Krise: "Er legte sich wochenlang in eine schwarze, gummierte Kiste und las als einziges Buch das Tagebuch der Anne Frank". Zweimal hat sich Beuys in der Folge mit Entwürfen für ein Mahnmal in Auschwitz auseinandergesetzt - und hat natürlich gemerkt, das ist nicht zu bewältigen, das ist mit Kunst nicht zu bewältigen.

Beuys wollte heilen, wahrscheinlich in erster Linie sich selbst. Er war ein Wanderer mit Hut und Stab, "ein Magier zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem, er war ein konservativer Revolutionär."

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Gestaltung

• Alexandra Mantler