Menschen vor glühender Sonne

APA/HARALD SCHNEIDER

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Carl Gustav Jung

"Gott in mir". Anlässlich dessen 60. Todestages blickt die evangelische Theologin und Professorin für Religionspsychologie der Universität Wien, Susanne Heine, auf die herausfordernde Gedankenwelt C. G. Jungs

Carl Gustav Jung studiert Medizin und arbeitet in der psychiatrischen Klinik Burghölzli bei Zürich, wo er von Sigmund Freud entdeckt wird. 1907 treffen sie sich in Wien, dann tauschen sie Schriften und Briefe aus. Freud sieht in Jung den biblischen Josua, der das gelobte Land der neuen Psychologie betritt, was ihm selbst als Mose wegen des Antisemitismus verwehrt ist. Fünf Jahre später trennen sie sich, denn Jung hat sein eigenes Verständnis vom Unbewussten entwickelt.

Für Jung ist das Unbewusste nicht nur persönlich, sondern überpersönlich und reicht in die Tiefen alten archaischen Wissens, das sich kein Mensch ausdenken könnte. Dieses "kollektive Unbewusste" ist für ihn eine selbstständige und schöpferisch tätige Energie, die in allen Menschen wirkt als Intuition oder Instinkt. Ihm ist klar: Das alles lässt sich nicht wissenschaftlich beweisen, ist ein "transzendentes Postulat", die Idee vom religiösen Charakter der Seele.

In die übergeordnete Größe des Unbewussten sieht Jung das Ich-Bewusstsein eingebettet, und beide zusammen bilden ein Ganzes, das "Selbst", das die Gesamtpsyche autonom reguliert. Er vergleicht den Menschen mit einer Pflanze: Wie das Rhizom von selbst Blüten hervorbringt, so erwachsen aus der Kollektivpsyche von selbst die Potenziale und Fähigkeiten des Menschen. Jung nennt das Selbstverwirklichung.

Was mich beeindruckt: Jung denkt naturphilosophisch und legt seinen Finger auf eine vergessene Dimension: Die Natur als selbsttätige Energie, die hervorbringt und wachsen lässt; der Mensch ein Ganzes, nicht die Summe biologischer oder chemischer Teile. Aristoteles ist einer seiner Kronzeugen. Für Jung sind Psychotherapeuten eigentlich Philosophen oder sollten es sein. Er glaubt nicht an einen persönlichen Gott, sondern das Selbst ist das Bild Gottes im Menschen, der "Gott in mir". Schimmert hier nicht durch, was kirchliche Verkündigung oft vernachlässigt: Das Staunen über die Schöpfung und den Menschen als Ebenbild Gottes?

Service

Das C.G. Jung Lesebuch, 5. Auflage, Walter Verlag, 1998.
Aniela Jaffé: Erinnerungen, Träume und Gedanken von C.G. Jung, 11. Auflage, Walter Verlag, 1999.
Susanne Heine: Grundlagen der Religionspsychologie, Kapitel 8: C.G. Jung - die göttliche Natur, UTB 2528, Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, 2005.


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Titel: Sonate für Klavier und Violine in C-Dur KV 296
* Andante sostenuto - 2.Satz (00:05:33)
Solist/Solistin: Itzhak Perlman /Violine
Solist/Solistin: Daniel Barenboim /Klavier
Länge: 05:33 min
Label: DG 415102-2

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