Oliver Tanzer

LUKAS BECK

Gedanken für den Tag

Oliver Tanzer über Jean de La Fontaine

"Vom Fuchs und den Trauben". Anlässlich dessen 400. Geburtstags erinnert Oliver Tanzer, Autor und Journalist bei der "Furche" an den Autor noch heute berühmter Tierfabeln

Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Welt durch menschliches Zutun in keinem fabelhaften Zustand mehr ist. Immerhin dämmert uns nun nach langen Jahren das eine oder andere Paradox jener Entwicklung, die man gemeinhin Fortschritt nennt.

Etwa, dass uns Dinge und Güter, von denen wir meinen, sie machen uns reich und unser Leben besser, wie etwa Autofahren, unser Leben und unsere Atmosphäre so sehr belasten, dass wir auf Dauer sehr viel ärmer dastehen werden. Dann nämlich, wenn die Schäden durch die Klimaerwärmung einmal voll durchschlagen - und zum Teil macht es sich ja schon jetzt bemerkbar, Stichwort Tornados in Mitteleuropa. Dieses Paradox der Selbstschädigung durch ökonomische Verbesserung kann man leider in großen Teilen unseres Wachstums sehen.

Dass ausgerechnet Jean de La Fontaine dazu ein passendes Gleichnis geschrieben hat, mag nicht überraschen. Warum auch hätte sich der Mensch an sich in den letzten 400 Jahren seit Fontaines Geburt bessern sollen? Im Gegenteil, sein Wirken scheint heute noch weit weniger harmlos als damals, als der Dichter Folgendes fabelte:

"Tödlich getroffen lag, den Federpfeil im Herzen,
ein Vogel da: er klagte im Übermaß der Schmerzen
sein traurig Los: Ist es nicht ein harter Schicksalsschluss,
dass man zum eignen Leid man die Waffen liefern muss?
Grausamer Mensch, du nimmst uns aus unseren Schwingen
die Federn, die zum Flug die Mordgeschosse bringen.
Doch spotte nicht du Volk, herzlos und ungerecht:
Denn für ein ähnlich Los wie wir bist du geschaffen.
Die eine Hälfte von eurem Geschlecht versorgt die andere stets mit Waffen.

Da hat La Fontaine noch untertrieben. Denn heute produziert die Hand der gleichen Person den Schaden, der direkt auf sie und ihre Kinder fällt. Und in diesem Sinn braucht es keine weitere Fabel mehr, um zu erkennen: Der Mensch ist längst nicht mehr nur der Welt ein Raubtier, er ist sich selbst ein Wolf.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: David Buckley
Titel: Fifty Shades of Grey: Bliss
Ausführende: David Buckley
Länge: 02:00 min
Label: 2020 Firefly Music

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