Gertrude Stein

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Gedanken für den Tag

Brigitte Schwens-Harrant über Gertrude Stein

"Mutter und Muse der Moderne". Zum 75. Todestag der Autorin spricht Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche"

Ihre Sätze brechen mit den Regeln der Grammatik, ihre Biografie sprengt nationale, kulturelle, sprachliche Grenzen: Am 3. Februar 1874 wurde die Schriftstellerin Gertrude Stein in Pennsylvania als jüngstes von fünf Kindern einer deutsch-jüdischen Familie geboren. Sie lebte als Kind in Wien, in Paris, dann wieder in den USA. Sie sprach deutsch, französisch, dann amerikanisch.

Stein studierte zunächst Philosophie bei William James. Er gilt als Begründer der amerikanischen Psychologie. Seine Theorie von einem kontinuierlich ablaufenden "Bewusstseinsstrom" wird in ihrem Schreiben ebenso Spuren hinterlassen wie die vielen Sprachen.

Das Medizinstudium, das folgte, brach sie ab. Sie zog mit ihrem Bruder Leo nach Paris, wo sie mit Prosawerken wie "The Making of Americans" mit Erzählkonventionen brach. Und wo ihre Wohnung zu einem Treffpunkt von Künstlern wurde: Maler wie Pablo Picasso und Schriftsteller wie Ernest Hemingway gingen ein und aus. Picasso porträtierte sie, indem er sie malte, und sie porträtierte ihn, indem sie schrieb.

1938 verfasste sie ihren Essay "Picasso". Die Menschen, schrieb sie darin, verändern sich nicht von einer Generation zur anderen, sie haben dieselben Bedürfnisse, Wünsche usw., aber die "Art zu sehen und gesehen zu werden" ändert sich, "die Straßen verändern sich, die Art wie man durch die Straßen gefahren wird ändert sich, die Gebäude ändern sich". Die Komposition ändert sich, die von dieser Art abhängt, "jede Generation hat ihre Komposition". Nicht die Menschen ändern sich, "sondern die Komposition, die sie umgibt".

Gertrude Stein warf in ihrer Literatur den Blick radikal auf die Komposition. Im Unterschied zu Romanautoren, die ihre Leser in eine Welt hineinziehen wollen, bis diese denken, sie wären ein Teil davon, vergisst man bei Stein während des Lesens nie, niemals, dass man liest.

Service

Gertrude Stein, "Picasso. Sämtliche Texte 1909-1938", Verlag Walde und Graf, Zürich 2003
Uda Strätling und Marcel Beyer, Ernst Jandl, Barbara Köhler, Oskar Pastior, Ulf Stolterfoht (Hg.), "Gertrude Stein. Das große Lesebuch", Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2017

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Leonard Bernstein
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Gertrude Stein/1874 - 1946
Gesamttitel: SONGFEST, A Cycle of American Poems for Six Singers and Orchestra
Titel: Storyette H.M. - Duett für Sopran und Baß
Textanfang: One was married to some one
Leitung: Leonard Bernstein
Orchester: National Symphony Orchestra of Washington
Solist/Solistin: Clamma Dale /Sopran
Solist/Solistin: Donald Gramm /Baß
Länge: 01:50 min
Label: DG 4159652

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