Gertrude Stein

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Gedanken für den Tag

Brigitte Schwens-Harrant über Gertrude Stein

"Mutter und Muse der Moderne". Zum 75. Todestag der Autorin spricht Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche"

Eine gute Geschichte hat Anfang, Mitte, Ende. Oder?
Um es mit den Worten der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein aus dem Jahr 1935 zu sagen: "immer hat es ein Gefühl gegeben dass etwas einer anderen Sache folgte dass es im Geschehen eine Abfolge gab".

Doch Stein wusste, und das beschäftigte sie: "Bewegung erfolgt in jeder Richtung Anfang und Ende ist nicht wirklich erregend, alles ist alles, alles geschieht und jeder kann jederzeit wenn etwas geschieht alles erfahren"..

Für die Jüdin Stein war das Alte Testament gerade deswegen eine "so anhaltend gute Lektüre", weil es in ihm eben nicht "irgendeine Abfolge von etwas" gab und "keinen wirklichen Hinweis darauf dass irgend etwas fortschreitet dass irgendein Ding auf ein anderes Ding folgt, dass irgend etwas in diesem Sinn im Sinn aufeinanderfolgenden Geschehens eine Erzählung von etwas ist".

Deswegen frohlockte die 1874 in den USA geborene Schriftstellerin über die Literatur ihrer Zeit. Sie sei nicht mehr "ein Erzählen in Aufeinanderfolge (...) wie es die ganze Literatur seit ziemlich vielen hunderten von Jahren gewesen ist".

Tatsächlich revolutionierte sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Literatur. Im Roman ticke ständig eine Uhr, schrieb der britische Autor E. M. Forster 1927. Stein aber habe "ihre Uhr zerschmettert und zerstampft und die Teilchen (...) über die ganze Welt verstreut, das war keine Unart von ihr, sondern geschah in bester Absicht. Sie hoffte, die Erzählung von der Tyrannei der Zeit zu befreien ."

Auf Dauer ist das Gertrude Stein nicht gelungen. Ein Blick auf die Literatur der Gegenwart zeigt: Der konventionelle Takt, die übersichtlichen Sequenzen haben sich wieder durchgesetzt. Das ist verständlich, denn Ordnung hilft verstehen. Aber auch Unterbrechung hilft sehen. Das hat Stein wie kaum eine andere gezeigt. Mit ihrem Blick auf das, woraus Literatur besteht: Sprache.

Service

Gertrude Stein, "Erzählen. Vier Vorträge", Suhrkamp Verlag
Ali Smith, "Wem erzähle ich das?", Luchterhand Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter Ablinger/geb.1959
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Gertrude Stein/1874 - 1946
Album: PETER ABLINGER: VOICES AND PIANO
Titel: Gertrude Stein
Gesamttitel: VOICES AND PIANO < beg.1998 > - Zyklus für Klavier und Lautsprecher
Solist/Solistin: Gertrude Stein /gesprochen
Solist/Solistin: Nicolas Hodges /Klavier
Solist/Solistin: Gertrude STEIN/3.2.1874 Allegheny, Pennsylvania - 27.7.1946 Paris
Länge: 03:38 min
Label: Kairos 0013082 KAI

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