Die zerstörten Silos, ein Jahr nach der Explosion in Beirut.

AFP/PATRICK BAZ

Radiokolleg - Die Explosion von Beirut

Anatomie einer Katastrophe (1). Gestaltung: Monika Halkort

Die Explosion im Hafen von Beirut am 4. August 2020 war eine der schwersten nicht-nuklearen Katastrophen in der Geschichte. Rund drei Tonnen Ammonium- Nitrat hatten sich plötzlich, aus immer noch ungeklärten Gründen entzündet und eine Druckwelle in Gang gesetzt die das Kernstück des Hafens, sowie die umliegenden Bezirke, in Schutt und Asche legten. 211 Menschen starben, mehr als 6.500 wurden verletzt, mit zum Teil lebenslänglichen Folgen. Der Sachschaden an Häusern und Infrastruktur wird auf 4 Milliarden Dollar geschätzt.

Die konkreten Umstände der Katastrophe liegen bis heute im Dunkeln. Fest steht, dass die hochexplosive Chemikalie unter grober Missachtung aller Sicherheitsbestimmungen, auf engstem Raum, unmittelbar neben Feuerwerkskörpern und leicht entflammbaren Autoreifen gelagert war. Die räumliche Anordnung der Güter, so der UN Sprengstoff Experte Gareth Collett, glich einem improvisierten Sprengsatz in der Größenordnung einer Lagerhalle, der nur darauf wartet zu explodieren. Die Umstände waren geradezu darauf ausgelegt, eine Explosion herbeizuführen.

Bis dato ist niemand für die Explosion und ihre verheerenden Folgen zu Verantwortung gezogen worden. Führende Beamte der Zoll- und Hafenverwaltung sind zwar unmittelbar nach der Katastrophe verhaftet worden, aber rechtskräftige Urteile und Anklagen stehen aus. Der Untersuchungsrichter, der mit der Ermittlung zu den Ursachen des Desasters betraut wurde, ist mittlerweile abgesetzt worden. Er hatte sich das Recht herausgenommen, führende Regierungsvertreter und Ministeriumsbeamte zum Verhör zu laden, und setzte sich damit ins politische Aus. Anstatt Licht in die dunkle Schattenwirtschaft im Hafen zu bringen, haben alle offiziellen und inoffiziellen Ausklärungsversuche bisher nur neue, ungelöste Fragen und Rätsel zu Tage gebracht.

Monika Halkort macht sich in einer 4-teiligen Radiokolleg Reihe auf die Spur der mysteriösen Faktenlage. Ihre Spurensuche führt zurück in die Wirtschaftswunderjahre der 50er und 60er Jahren, als der Libanon und seine Häfen zentrale Verhandlungsmasse im Kampf um die Ölressourcen und die daran geknüpfte politische wie militärische Kontrolle in der Region waren. Der Wettlauf zwischen den damaligen Supermächten USA, Russland und ihrer jeweiligen regionalen Verbündeten, legte den Grundstein für Rentierökonomie, die das Land mehr und mehr von externen Interessen und Investitionen abhängig machte und das politische Leben zutiefst gespalten und an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Die Explosion im Hafen von Beirut markiert den bislang verheerendsten Höhepunkt einer zutiefst bankrotten wirtschaftlichen und politische Ordnung, die den Staat und seine Infrastruktur zum Selbstbedienungsladen einer kleinen, alteingesessenen Elite an Kauf- und Handelsfamilien gemacht hat.

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Khalili, Laleh (2020): Sinews of war and trade. Shipping and capitalism in the Arabian Peninsula / Laleh Khalili. London, Brokklyn, NY: Verso.

Trabulsi, Fawwaz (2012): A history of modern Lebanon. 2nd ed. London: Pluto Press; New York : Distributed in the United States of America exclusively by Palgrave Macmillian.

Haugbolle, Sune (2010): War and Memory in Lebanon. Cambridge: Cambridge University Press.

Kassir, Samir (2010): Beirut. Berkeley, Calif., London: University of California Press.

Leyla El Sayed Hussein (2021) On Rubble and Buried Meaning

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