Medizin und Gesundheit

Immer der Nase nach - Die vielen Facetten des Geruchssinns Teil 2


Vergangene Woche haben wir Ihnen bereits einige Aspekte des Geruchssinns präsentiert. Etwa was ihn von allen anderen Sinnen unterscheidet, welchen Einfluss unser olfaktorisches System auf Freundschaft, Partnerschaft und Sexualität hat und welchen Zusammenhang es zwischen Geruchsvermögen und Stimmungslage gibt. In der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors möchten wir uns vor allem ansehen, wie es Personen geht, die besonders gut oder schlecht riechen können.

Immer mehr Menschen von Riechstörungen betroffen

Der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Univ.-Prof. Dr. Christian A. Müller kümmert sich in der Spezialambulanz für Riech- und Schmeckstörungen der Meduni Wien um Patienten mit angeborener oder plötzlich aufgetretener Riechstörung. Aktuell gibt es viele Betroffene, denn bei etwa 75 Prozent aller Covid-19-Infizierten kommt es zum (teilweisen) Ausfall des Geruchsinns. Das Virus dürfte die sogenannten Stützzellen angreifen. Das sind jene Zellen, die die Funktion der Riechnervenzellen unterstützen. Durch die in Mitleidenschaft gezogenen Stützzellen wird das gesamte Umfeld gestört. Der HNO-Arzt Christian Müller führt eine Langzeitstudie zu diesem Thema durch und hat bisher herausgefunden: Bei den meisten Betroffenen kommt es zu keinem kompletten Verlust des Geruchssinns, sondern zu einer Hyposmie, also einer Einschränkung. Dafür hält diese sehr lange an. Kehrt der Geruchssinn nach und nach wieder zurück, erleben Betroffene meist Folgendes: Gerüche werden falsch wahrgenommen. Gemüse riecht dann beispielsweise nach verdorbenem Fleisch.

Eine Betroffene berichtet

So erging es auch Romana Ulbinger. Die Volksschullehrerin erkrankte zu Beginn der Pandemie im März 2020 an Covid-19 und konnte plötzlich ein halbes Jahr danach ihr Essen nicht mehr riechen. Mittlerweile sind manche Gerüche wieder zurückgekehrt. Den Duft von frisch gebackenem Kuchen vermisst sie immer noch. Es gibt aber auch Menschen, die aufgrund einer Allergie, eines Unfalls oder einer neurodegenerativen Erkrankung, wie zum Beispiel Morbus Parkinson, Geruchseinbußen erleiden.

Sensible Nase wird zum Problem

Störungen dieses Sinnes können kann aber auch in die andere Richtung gehen, nämlich dann, wenn Betroffene subjektiv zu viel riechen. Bereits die Druckerschwärze der Zeitung führt beispielsweise zu Kreislaufbeschwerden. Man spricht in der Medizin in diesem Fall vom MCS-Syndrom, der Multiplen Chemikaliensensibilität. Tatsächlich riechen Betroffene aber meist gar nicht besser als der Durchschnitt. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer, die Ursachen sind noch nicht geklärt. Die hohe Empfindlichkeit kann mit einer Psychotherapie behandelt werden.

Die Nuancen des Weins

Ein besonders feines Näschen hat auch die Dipl.-Sommelière Annemarie Foidl. Die Präsidentin der Sommelierunion Austria verlässt sich beruflich seit mehreren Jahrzehnten auf ihre Nase. Den ausgeprägten Geruchssinn hat sie sich antrainiert und kann nun 10- bis 20-mal so viele Gerüche beim Namen nennen wie Menschen, die ihr Riechorgan nicht schulen.

Bessere Riechleistungen im Gehirn sichtbar

"Theoretisch kann ein Mensch mehr als tausend Milliarden Duftstoffe unterscheiden", sagt Christian A. Müller. Wir können diese Wahrnehmungen aber nicht in Worte fassen. Die bessere Riechleistung von Sommeliers zeigt sich auch im Gehirn: Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie kann das sichtbar gemacht werden. So ist beispielsweise der Riechkolben vergrößert. Dieses Nervenbündel sitzt im Schädel zwischen den Augen und leitet Informationen über Riechreize an das Zentralnervensystem weiter.

Geruchstraining mit oder ohne Riechstörung

Christian A. Müller empfiehlt seinen Patienten ein Geruchstraining, um die Regeneration der Riechnervenzellen zu unterstützen. Dabei soll morgens und abends an vier verschiedenen Gerüchen geschnuppert werden.
Ein solches Training könnte allen Menschen ab 50 helfen, die altersbedingte Abnahme der Geruchsfähigkeit hinauszuzögern.
Annemarie Foidl rät grundsätzlich jedem zu einem Geruchstraining, denn "wir lassen uns von der Industrie wirklich an der Nase herumführen". Man solle sich wieder mehr auf die eigene Sensorik verlassen und nicht darauf, was irgendwo geschrieben steht.

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA
Redaktion: Mag.a Nora Kirchschlager und Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Fragen:
Ist Ihr Geruchssinn aufgrund von Covid-19, einem Unfall oder anderen Gründen beeinträchtigt?
Wie hat sich die Riechstörung bemerkbar gemacht? Wie sind Sie zu einer Diagnose gekommen?
Wie geht es Ihnen damit?
Was sind die größten Herausforderungen im Alltag?
Machen Sie ein Geruchstraining? Konnten Sie schon Erfolge damit verzeichnen?
Haben Sie einen besonders ausgeprägten Geruchssinn?
Wie haben Sie das bemerkt?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christian A. Müller
Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten
MedUni Wien
Leiter der Spezialambulanz für Riech- und Schmeckstörungen
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien
Tel.: 0680/3119599
E-Mail
Homepage

Gäste am Telefon:

Dipl.-Sommelière Annemarie Foidl
Präsidentin der Sommelierunion Austria
Chefin der Angereralm bei St. Johann in Tirol
E-Mail
Homepage

Romana Ulbinger
Volksschullehrerin in Wien
Seit einer Covid-19 Erkrankung von Riechstörungen betroffen

Anlaufstellen und Infolinks:

Spezialambulanz für Riech- und Schmeckstörungen der Meduni Wien
Interdisziplinäres Zentrum für Riechen und Schmecken der HNO-Klinik der Technischen Universität Dresden
HNO-Ärzte im Netz: Riechstörungen
Der Standard: Was den Geruchssinn ausmacht - und was passiert, wenn er ausfällt
Der Tagesspiegel: Der Verlust kann jeden treffen
Medmix: Geruchssinn und Geschmackssinn im Fokus
Kurier: Was der Geschmack mit dem Immunsystem zu tun hat
Gesundheitsinformation.de: Wie funktioniert der Geschmackssinn?
Wenn Profis ihren Geruchssinn verlieren
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