Johanna Schwanberg

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über den Blick der Kunst auf Arm und Reich

"Armut und Reichtum in der Kunst". Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum Wien, spürt der Frage nach, welche Rolle die Kunst bei der Bekämpfung von Ungleichheit hat

Leuchtende Laternen, Singen, Gemeinschaft. Als Kind habe ich das Martinsfest rund um den 11. November besonders geliebt. Auch die Gestalt des heiligen Martin, der großzügig seinen Mantel mit einem Bettler teilt, war mir bereits damals besonders sympathisch. Und ich erinnere mich noch gut, dass ich mich abgemüht habe, diese Geschichte mit bunten Wachskreiden zu zeichnen ? keine leichte Aufgabe für ein Kind im Volksschulalter.

Umso mehr freue ich mich, dass wir jetzt in unserer Ausstellung "arm & reich" ein fantastisches mittelalterliches Tafelbild dieses Heiligen aus der Ungarischen Nationalgalerie zeigen können. Wie auf einer Bühne ist groß im Zentrum die legendäre Szene zu sehen, die sich im Jahr 334 ereignet haben soll. Martin sitzt, in kostbare Gewänder gekleidet, auf einem weißen Pferd und ist gerade dabei, seinen rotblauen Mantel mit einem großen Schwert zu teilen, wobei - ikonografisch höchst ungewöhnlich - nicht nur ein Bettler, sondern zwei um eine milde Gabe bitten. Links oben im Bild ist eine weitere Episode dargestellt: Martins anschließender Traum mit der Christuserscheinung - sie führte laut Legende zur Bekehrung und Taufe des Soldaten und späteren Bischofs.

Ich weiß schon jetzt, dass ich mich an diesem Bild - auch wenn es Monate bei uns zu Gast sein wird - nicht sattsehen werde. Zum einen, weil mich das intensive Zusammenspiel der Farben Rot, Goldocker und Blau wie auch die lebendige theatralische Erzählweise begeistern. Zum anderen interessiert mich diese Holztafel, weil sie zeigt, wieviel Ambivalentes und Widersprüchliches ein Kunstwerk zum Ausdruck bringen kann. Denn es führt einen Menschen vor Augen, der für christliche Mildtätigkeit schlechthin steht und symbolhaft daran erinnert, wie wichtig Teilen ist. Zugleich spiegelt es die bedenkliche städtische Armenpolitik des Spätmittelalters wider, die zwischen der Mildtätigkeit würdigen ortsansässigen Armen und dieser unwürdigen fremden Armen zu unterscheiden begann. Im Bild ist das insofern erkennbar, als Martin sich dem sogenannten "wahren" Bettler zuwendet, während er den zweiten links liegenlässt.

Das Werk schreibt bei aller dargestellten Großzügigkeit die Hierarchie zwischen Arm und Reich fest, sitzt Martin doch mit seinem Schwert in edler Kleidung hoch zu Ross, während die in Lumpen gehüllten Bettler kniend oder stehend weit unter ihm ins Bild gesetzt sind. Eine Kritik an der Martinslegende, die auch die Schriftstellerin Ilse Aichinger in einem kurzen Gedicht formuliert hat, in dem sie schrieb: "Gib mir den Mantel, Martin, // aber geh erst vom Sattel // und lass dein Schwert, wo es ist, // gib mir den ganzen."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter N. Gruber/geb.1956
Bearbeiter/Bearbeiterin: Denovaire /Arrangement, Pseudonym von Timo Kaufmann/geb.1978
Bearbeiter/Bearbeiterin: Igmar Jenner /Arrangement/geb.1980
Album: PETER N. GRUBER: EIN FERNER GARTEN - MUSIK FÜR STREICHQUARTETT
Titel: End of yesterday - für Streichquartett
Ausführende: Frozen Fritz 4
Ausführender/Ausführende: Igmar Jenner /Violine
Ausführender/Ausführende: Andreas Semlitsch /Violine
Ausführender/Ausführende: Simon Schellnegger /Viola
Ausführender/Ausführende: Sophie Abraham /Violoncello
Länge: 02:01 min
Label: Gramola 98940

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