Praxis - Religion und Gesellschaft

Hatise, Parisa und die afghanischen Mädchen

Afghaninnen in Österreich - fragile Lebenswelten

Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat vor allem für die Frauen und Mädchen dort dramatische Folgen und nimmt ihnen wieder mühsam errungene Rechte und Freiheiten. Darum sind auch Stimmen laut geworden, westliche Länder sollten besonders Frauen Asyl gewähren. Vor drei Jahren sind im Ö1-Religionsmagazin "Praxis" junge Frauen aus Afghanistan zu Wort gekommen, die in Österreich eine neue Heimat gefunden haben. Wie es ihnen heute geht, was sich für sie seit damals verändert hat und wie sie die Entwicklungen in Afghanistan erleben, haben wir nun nachgefragt.

"Ich bin keine Afghanin mehr und keine Österreicherin, ich bin irgendwas dazwischen", meint die 25-jährige Parisa. Als sie vor drei Jahren ein Interview für die "Praxis" gab, wollte Parisa noch inkognito bleiben und nannte sich Malia. Heute sieht sie dafür keinen Grund mehr: "Ich muss einfach meinen eigenen Weg gehen. Ich brauche nicht so leben, dass alle Menschen glücklich sind mit mir."

Vor drei Jahren spürte Parisa noch stärker den Druck der afghanischen Community. Sie rechnet es ihren Eltern hoch an, dass sie sie in ihrer schwierigsten Phase nicht verstoßen haben: nämlich, als sie Anfang 20 ihre Verlobung mit einem Afghanen wieder gelöst hat. Ein Tabu in der afghanischen Gesellschaft. Mittlerweile hat sich Parisa von der afghanischen Community gelöst. Sie habe sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, sagt sie, und komme nun mit den Vorstellungen mancher Verwandter und Bekannter nicht mehr zurecht. Trotzdem ist sie heute auch stolz auf ihre afghanische Herkunft.

Die Ambivalenz zwischen dem Aufbruch in ein neues, emanzipiertes Leben und der Loyalität gegenüber Familie, Community und traditionellen Werten klang damals auch bei der 15-jährigen Sahar an. Sie war eine ehrgeizige Schülerin und dreifache, österreichische Staatsmeisterin im Thaiboxen und Kickboxen. Mittlerweile ist die 18-jährige sechsfache österreichische Staatsmeisterin.

Drei Jahre zuvor hatte Sahar noch erklärt, wie wichtig es für sie sei, die Ehre ihrer Familie nicht zu verletzen. "Heute ist mir das auch noch wichtig", meint sie, "aber es wird einfach anders definiert. In meiner Familie geht es nicht mehr so streng zu wie damals. Heute vertrauen mir meine Eltern. Sie wissen, dass ich jetzt erwachsen bin und auf mich selber aufpassen kann."

Wenn in den Medien über Afghanen in Österreich berichtet wird, dann meistens im Zusammenhang mit Gewalttaten. Afghanische Mädchen und Frauen kommen dabei selten zu Wort. Dabei sind der Kultur-Clash und die Umstellung auf die österreichische Gesellschaft für afghanische Frauen noch größer. Aber vor allem die jungen Frauen und Mädchen scheinen damit schneller und besser fertig zu werden als ihre Brüder, Väter und Ehemänner.

"Österreichisch-afghanische Mädels"

Die 26-jährige Studentin Farhat stört es, wenn einzelne Frauen in Medienberichten als "besonders gut integriert" herausgestellt würden, "als ob diese Frauen eine Ausnahme wären und die ganze restliche afghanische Community Terroristen seien". In ihren Augen sollte es ganz normal sein zu sagen: "Hier sind unsere österreichisch-afghanischen Mädels".
Farhat arbeitet für die Frauenberatungsstelle der Diakonie und studiert Politikwissenschaften. Viele ihrer Verwandten leben noch in Afghanistan. Es fällt ihr schwer, aus der Ferne beobachten zu müssen, was dort gerade passiert. "Wir bekommen Videos und sehen Fotos", erzählt sie. Sie bewundert die Frauen, die in Afghanistan für ihre Freiheit auf die Straße gehen: "Obwohl ihr Leben in Gefahr ist, setzen sie sich dafür ein, etwas zu verändern. Ich kann hier gar nichts tun, das ist das Schlimmste." Gleichzeitig ist Farhat froh, dass sie und ihre Familie in Sicherheit sind.

Fußball ist auch Frauensache

Die 19-Jährige Hatise traf man schon vor drei Jahren oft in einer Sporthalle im zweiten Wiener Bezirk: Sie spielte dort Fußball. In Österreich ist sie als 16-Jährige angekommen und war damit nicht mehr schulpflichtig. Ein zähes Ringen und Warten um Deutschkurse und Weiterbildungskurse hat begonnen. Zur Zeit des Interviews vor drei Jahren holte sie ihren Pflichtschulabschluss nach. Und sie hatte gerade einen positiven Asylbescheid bekommen. In Österreich hat sie ihr Kopftuch abgelegt und auch ihre Einstellung zur Religion geändert. Früher sei sie sehr religiös gewesen, heute sei das nicht mehr so, sagte sie.

Heute spielt Hatise immer noch Fußball beim Integrationsverein "Kicken ohne Grenzen". Dass Fußball einmal so einen wichtigen Stellenwert für sie haben würde, hätte sie nie gedacht, denn in Afghanistan sei Fußball reine Männersache, erzählt sie. Eine Zeit lang hatte Hatise darüber nachgedacht, in einer Profi-Liga zu spielen, allerdings hat die Zeit dafür nicht ausgereicht. Denn vor zwei Jahren hat sie eine Lehre als Augenoptikerin begonnen. Das Gefühl von damals, sich wie ein Kind in einer neuen Welt zurechtfinden zu müssen, ist mittlerweile verflogen.

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