ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Praxis - Religion und Gesellschaft
Tabuzone Tod
Sieg der Selbstbestimmung oder Dammbruch? - Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Sterbehilfe +++ Über die "Verteelichtung" des Todes +++ Ein Jahr nach dem Attentat von Wien - Notfallpsychologe Martin Stiegler im Interview
27. Oktober 2021, 16:05
1. Sieg der Selbstbestimmung oder Dammbruch? - Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Sterbehilfe
Die Regierung hat sich auf eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe in Österreich geeinigt. Nötig geworden ist diese, weil im Dezember 2020 der Verfassungsgerichtshof das strafrechtliche Verbot der Beihilfe zum Suizid als verfassungswidrig aufgehoben hat, mit der Begründung, es verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Der am Samstag veröffentlichte Gesetzesentwurf sieht vor: Wer in Österreich ab 1. Jänner 2022 Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen will, kann künftig eine Sterbeverfügung einrichten. Der Zugang ist auf dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Personen beschränkt. Explizit ausgeschlossen sind Minderjährige. In Apotheken soll ab dann ein letales Präparat erhältlich sein. Befürworterinnen und Kritiker haben nun bis zum 12. November Zeit, Eingaben zu machen.
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler - er ist in der Bischofskonferenz für Lebensschutzfragen zuständig - meint, die katholische Kirche werde weiterhin an ihrem "klaren Nein zu jeder Form der Beihilfe zur Selbsttötung" festhalten. Auch die Direktorin der evangelischen Hilfsorganisation Diakonie, Maria Katharina Moser stellt klar: "Assistierter Suizid kann kein Leistungsangebot der Diakonie sein". Eine Haltung, die Anwalt Wolfram Proksch, der gemeinsam mit Betroffenen das Urteil des Verfassungsgerichtshofes ausgelöst hat, scharf kritisiert, "weil dann die gesetzliche Regelung ausgehöhlt wird und nicht den Zweck erreicht, den sie erreichen soll. Dann wäre die Sterbehilfe erst recht nicht gewährleistet", argumentiert er. Gestaltung: Maria Harmer
2. Über die "Verteelichtung" des Todes
Rund um die katholischen Feste Allerheiligen und Allerseelen rückt das Thema Tod traditionell stärker in den Mittelpunkt. Viele Menschen besuchen die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen, schmücken sie mit Blumen und zünden eine Kerze an. Doch eine Tabuisierung kann auch durch Verschönerung geschehen, meint etwa der Bestatter und Buchautor Martin Prein, wenn der Tod nur noch mit Kerzenschein und Friedhofsruhe assoziiert wird. Auch seine Kollegin Christine Pernlochner-Kügler plädiert in ihrem neuen Buch für eine realistische Auseinandersetzung mit dem Tod. Eine solche sei lohnend für jeden Menschen, denn der Tod sei schließlich das einzig "sichere" im Leben.
Wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben geschehen kann und vor welche besonderen Herausforderungen die Corona-Pandemie Bestatterinnen und Bestatter gestellt hat, das haben die beiden Thanatolog/innen Judith Fürst erzählt.
3. Ein Jahr nach dem Attentat von Wien - Notfallpsychologe Martin Stiegler im Interview
Als am 2. November 2020 der Attentäter in der Wiener Innenstadt Tod und Terror verbreitet hat, hatte Martin Stiegler gerade Dienst bei der Telefonseelsorge. Menschen saßen an diesem Abend oft stundenlang in Lokalen und Hotels, in die sie sich geflüchtet hatten, fest. Angehörige warteten zu Hause auf die erlösende Nachricht, dass Kinder oder Partner/in in Sicherheit waren.
Bei dem terroristischen Amoklauf wurden vier Personen getötet und 23 weitere teils schwer verletzt. Der 20jährige Einzeltäter war Sympathisant der Terrororganisation "Islamischer Staat" und wurde schließlich von der Polizei erschossen. Notfallseelsorger Martin Stigler erzählt im "Praxis"-Studiogespräch mit Alexandra Mantler, wie er diesen Abend erlebt hat, wie man Anrufer/innen in so einer Situation am besten helfen kann und wie Betroffene solche traumatischen Erlebnisse in der Folge besser verarbeiten können.
Service
Parlamentshomepage
Diakonie
Caritas
Evangelische Kirche in Österreich
Österreichische Bischofskonferenz
Gesellschaft für ein humanes Lebensende
Institut für Ehe und Familie
Dachverband Hospiz Österreich
Patientenanwaltschaft
Österreichischer Behindertenrat
Abteilung für Palliativmedizin AKH Wien
Petition Rechtsanspruch auf professionelle Sterbehilfe
Österreichische Ärztekammer
"Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik" (IMABE)
Assistierter Suizid: Kirche mit gemischter Bilanz
Sterbehilfe: Diakonie will Nachbesserungen
Klasnic fordert Geld für Hospizbereich
Vatikan: Bei Sterbehilfe keine Sakramente
Bestattung Neumair
Website von Martin Prein
Telefonseelsorge
Notfallseelsorge
Literatur:
Louise Brown: Was bleibt, wenn wir sterben. Erfahrungen einer Trauerrednerin. Diogenes 2021
Brigitte Krautgartner: Hinter den Wolken ist es hell. Von Krankheit und Abschied und dem Glück des Neubeginns. Tyrolia 2021
Walter Müller: Lass uns über die Liebe reden. Trauerreden. Otto Müller Verlag 2021
Christine Pernlochner-Kügler: Du stirbst nur einmal. Leben kannst du jeden Tag. Eine Bestatterin erzählt. Goldegg Verlag 2021
Martin Prein: Dr. Prein & der Tod. Warum es uns lebendiger macht, wenn wir anders auf das Ende schauen. Molden 2021
Golli Marboe: Notizen an Tobias. Gedanken eines Vaters zum Suizid seines Sohnes. Residenz 2021