Evangelikale Gemeinschaft in Brasilien

AP/LEO CORREA

Radiokolleg - Die Ekstatiker Gottes

Warum evangelikale Bewegungen weltweit expandieren (1). Gestaltung: Günter Kaindlsdorfer

Sie ziehen Millionen Menschen in ihren Bann, nicht nur in den USA, wo die Mehrzahl dieser Glaubensgemeinschaften ihren Ursprung hat, sondern auch in Asien, Lateinamerika und Afrika. Mit ekstatischen Gottesdiensten, die an Rockkonzerte oder mitreißend choreographierte Musicals erinnern, begeistern sie die Gläubigen. Dabei vertreten die meisten evangelikalen Gemeinschaften - von den Methodisten und Heilsarmisten bis hin zu den verschiedenen Spielarten der Pfingstbewegung - ein strenges, an der wörtlichen Auslegung der Bibel orientiertes Christentum.

"Global betrachtet erleben wir ein rasantes Wachstum evangelikaler Strömungen", erklärt der Theologe Frank Hinkelmann, der viele Jahre lang zum Thema geforscht hat: "Man schätzt, dass es heute weltweit zwischen 400 und 600 Millionen evangelikale Christen gibt." Vor allem in Afrika und Lateinamerika expandieren die Evangelikalen, dank einer aggressiven Missionierung. Und in erster Linie - aber nicht nur - auf Kosten der katholischen und der offiziellen protestantischen Kirchen.

"Was immer wieder faszinierend ist", so die Wiener Religionspsychologin Ulrike Schiesser: "Von außen wirken die meisten dieser Freikirchen wahnsinnig modern und liberal. Erst, wenn man näher hinschaut, merkt man, dass sie ein rigides und streng konservatives Christentum vertreten - ob es um die Verdammung der Homosexualität oder um die Ächtung vorehelicher Sexualität geht, oder aber um die Rolle der Frau, die in den meisten dieser Gemeinschaften letztlich doch dem Manne untertan zu sein hat."

Wenn sie sich politisch engagieren, unterstützen Evangelikale oft autoritäre Populisten wie Donald Trump in den USA oder Jair Bolsonaro in Brasilien.

"Evangelikale Bewegungen sind deshalb so erfolgreich, weil sie mit Angst arbeiten - geschickt verpackt hinter der schillernden Fassade ultramoderner Erlebnisgottesdienste", analysiert der deutsche Pfingstkirchen-Aussteiger Bernd Vogt: "Die Prediger drohen mit Höllenqualen und apokalyptischen Szenarien. Gottes Strafgericht und das Ende der Welt, so hört man in den Gottesdiensten immer wieder, stünden unmittelbar bevor - solche Endzeit-Prophezeiungen treiben den Evangelikalen eine Menge Menschen zu."

Bernd Vogt, der in eine pfingstlerische Familie in Ostwestfalen geboren wurde, hat den Ausstieg aus dem fundamentalistischen Milieu seiner Kindheit nur mit Mühen geschafft. Depressionen, Angstzustände und schwere psychosomatische Erkrankungen haben ihn jahre- und jahrzehntelang gequält, während er den mühevollen, aber lohnenden Weg in die Freiheit beschritt. Heute ist er froh, den Ausstieg gewagt zu haben: "Ich habe es nie bereut. Das Leben da draußen ist so viel schöner und reicher als in dem strengen Gotteskorsett, in das ich meine Kindheit verbringen musste."

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Frederik Elwert, Martin Radermacher und Jens Schlamelcher (Hrsg.): Handbuch Evangelikalismus, transcript-Verlag, 452 Seiten

Bernd Vogt: Missbraucht im Namen des Herrn - Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit in einer Evangelischen Freikirche, BoD - Books on Demand, 280 Seiten

Frank Hinkelmann: Kirchen, Freikirchen und christliche Gemeinschaften in Österreich, Böhlau-Verlag, 567 Seiten.

Frank Hinkelmann: Evangelikal in Deutschland, Österreich und der Schweiz - Ursprung, Bedeutung und Rezeption eines Begriffs, Verlag für Kultur und Wissenschaft, 168 Seiten

Frank Hinkelmann: "Die Anfänge der Pfingstbewegung in Österreich - 1919-1945", Verlag für Kultur und Wissenschaft, 154 Seiten

Das Netzwerk Freikirchenausstieg steht Menschen mit evangelikal geprägter Biographie mit Rat und Tat zur Seite. Infos finden Sie hier:
https://freikirchenausstieg.jimdofree.com/

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