Ein Stuhl steht auf einem Friedhof zwischen Grabsteinen

APA/GEORG HOCHMUTH

Gedanken für den Tag

"Abschied und Ankommen" von Ida Maria Jaritz, Lehrerin

Marie war 23, als sie im Meer in Griechenland beim Schwimmen einfach nicht mehr auftauchte. Blutgerinnsel im Gehirn. Ging ganz schnell. Zack und weg. Hanna war 19, als man den Krebs in ihr entdeckte. Hanna hat viel geweint am Anfang. Als sie damit aufhörte, wusste ich, dass auch Hanna aufhören würde. "Sterben werden wir alle", hat sie einmal zu mir gesagt. "Die andern wissen es nur noch nicht."

Ich habe Bilder von Marie und Hanna, in meiner Wohnung stehen - lachend und ewig jung bleibend, nicht alternd, aber langsam verblassend. Ich weiß nicht mehr, wie Maries Stimme klang und habe den Geruch von Hannas langen Haaren nicht mehr in der Nase. Kaum jemand bringt die Bilder meiner beiden toten Freundinnen jemals zur Sprache. Jeder sieht sie, aber niemand will sie sehen. Es ist wie mit dem Tod selbst. Wir werden alle sterben. Wir wissen das auch. Aber wir tun lieber so, als ob wir's nicht wissen. Weil das mit dem Sterben und dem Tod eben nur was für Mutige ist und weil es anstrengend ist, jeden Tag so zu leben, als wäre es dein letzter.

Ich würde gerne sagen, dass der Tod meiner Freundinnen tiefgreifende Veränderungen in meinem Leben herbeigeführt hat. Dass ich jeden Tag aufstehe und dankbar bin, dass ich noch lebe. Dass ich mich über Kleinigkeiten nicht ärgere, weil das im großen Ganzen betrachtet, doch lächerlich ist und es letztlich auf ganz andere Dinge ankommt. Dass ich jeden Augenblick genieße und Menschen in meinem Leben immer so begegne, als wäre es das letzte Mal.

Die Wahrheit aber ist, dass es all das nicht mit mir gemacht hat. Ich habe immer noch Zukunftsängste, verliere mich in kleinen, vermutlich unwichtigen, Streitereien und drehe mich meistens um mich selbst im Kreis. Mein Leben hat durch den Tod meiner Freundinnen nichts an Qualität oder Intensität gewonnen. Am Tod gewinnt nämlich nur der Sterbende - das ewige Leben. Hoffe ich zumindest.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Ludovico Einaudi
Gesamttitel: Nomadland / Original Filmmusik
Titel: Seven Days Walking / Day 3 - Low mist/instr.
Solist/Solistin: Ludovico Einaudi /Klavier m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Redi Hasa /Violoncello
Ausführender/Ausführende: Federico Mecozzi /Violine, Viola
Länge: 05:53 min
Label: Decca/Universal Promo

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