Ein Immigrant mit Kind

APA/AFP/CARLO HERMANN

Medizin und Gesundheit

Weltweit Hilfe in der Not - 50 Jahre "Ärzte ohne Grenzen"


In Zeiten von Corona liegt der Fokus der medialen Aufmerksamkeit naturgemäß sehr stark auf der Situation im eigenen Land. Schließlich war die Sorge um ein mögliches Kollabieren des heimisches Gesundheitssystem groß.
Dabei sind die meisten Länder dieser Erde nicht annähernd dazu in der Lage, sich Impfungen, Tests oder intensivmedizinische Behandlungen leisten zu können. Zwar stellt die Pandemie die Menschen auch in ärmeren Regionen vor große Herausforderungen, die großen sozialen und gesundheitlichen Probleme liegen jedoch oft ganz woanders.

Hilfe auch während der Pandemie

Die humanitäre Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" war auch während der Corona-Krise international tätig. Sie agiert mittlerweile mit rund 45.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 70 Ländern. Der Schwerpunkt liegt auf der medizinischen Betreuung von Menschen in Notlagen, die von Kriegen, Krankheiten oder Naturkatastrophen heimgesucht werden.
Aktiv wird die Organisation dort, wo Menschen medizinische Hilfe benötigen, sei es durch chirurgische Eingriffe, Impfungen oder die Eindämmung von Seuchen wie Cholera oder Ebola. Auf rasche Nothilfe spezialisiert ist MSF schnell am Einsatzort und kümmert sich neben der medizinischen Versorgung in rasch aufbaubaren Zelten auch um die Infrastruktur, stellt eine funktionierende Wasserversorgung, Unterkünfte oder Latrinen zur Verfügung.

Die Anfänge

Am 22. Dezember 1971 gründeten zwölf französische Ärzte und Journalisten rund um den Mediziner Bernard Kouchner in Paris die Organisation "Medecins sans frontieres" (MSF). Bei einem Einsatz für das französische Rote Kreuz im Bürgerkrieg im nigerianischen Biafra hatte er zuvor zahlreiche Gräueltaten und die humanitäre Katastrophe durch die Hungersnot hautnah miterlebt. So brach er das, noch von Henry Dunant im 19. Jahrhundert postulierte Gebot, nur zu helfen und sich politisch nicht einzumischen, übte öffentlich Kritik und fusionierte zwei große Hilfsorganisationen zu MSF. Rund ein Jahrzehnt später schied Kouchner jedoch selbst aus der NGO aus.
Zwar sind auch "Ärzte ohne Grenzen" dem Prinzip der Neutralität verpflichtet und ergreifen keine Partei bei bewaffneten Konflikten, wie es in der Charta heißt. Es gebe jedoch Extremfälle, insbesondere bei schweren Menschenrechtsverletzungen, in denen die Hilfe nutzlos und der Gang an die Öffentlichkeit das letzte Mittel sei, um den betroffenen Bevölkerungsgruppen zu helfen.

Politisches Engagement

Zum Regierungsantritt der deutschen Ampelkoalition forderte "Ärzte ohne Grenzen" sofortige Maßnahmen zur weltweiten Eindämmung der Corona-Pandemie. Dazu zählen ein Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln und die Aufhebung von Patentrechten, unter anderem die Abgabe von Impfstoffdosen an die COVAX-Initiative. Dieses politische Engagement der Hilfsorganisation stößt nicht immer auf Gegenliebe. Auch die mitunter nötige Kooperation mit lokalen, in der westlichen Welt umstrittenen Regimen wurde öfter kritisch gesehen. Ähnliches gilt für die Seenotrettung flüchtender Menschen im Mittelmeer. In den vergangenen Jahren haben nicht nur die EU-Grenzschutzorganisation Frontex, sondern auch so mancher Politiker der Organisation vorgeworfen, die Arbeit von Schlepperbanden zu unterstützen. Seit Mai 2021 sind "Ärzte ohne Grenzen" dennoch mit der "Geo Barents" erneut im Mittelmeer unterwegs, um Menschenleben auf hoher See zu retten.

Durch Spendengelder unabhängig

Fast ausschließlich durch private Spenden finanziert, befinden sich Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Pflegekräfte oder Logistikexperten für viele Monate im Auslandseinsatz. Durch die finanzielle Unabhängigkeit und Überparteilichkeit können sie in Regionen tätig werden, die für andere, staatlich unterstützte Hilfsorganisationen kaum zugänglich sind. Die dafür nötige Kooperation mit lokalen, in der westlichen Welt umstrittenen Regimen wurde jedoch auch kritisch gesehen. Genauso wie das politische Engagement bei der Rettung flüchtender Menschen im Mittelmeer oder der Kampagne für den Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln und die Aufhebung von Patentrechten, auch für Corona-Impfstoffe. Für das weltweite humanitäre Engagement wurde die MSF 1999 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Ronny Tekal gratuliert in der aktuellen Ausgabe des Radiodoktors den Ärzten ohne Grenzen zum 50-jährigen Bestehen und spricht mit seinen Gästen über aktuelle Einsätze und die speziellen Herausforderungen für die Hilfe vor Ort in der Pandemie.

Moderation: Dr. Ronny Tekal
Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

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Service

Studiogast:

Dr. Reinhard Dörflinger
Arzt für Allgemeinmedizin
Vorstandsmitglied von "Ärzte ohne Grenzen"
International General Assembly (IGA) Repräsentant
Ärzte ohne Grenzen Österreich
Taborstraße 10, A-1020 Wien
Route
Tel.: +43 1 409 72 76
E-Mail
Homepage

Telefongast:

Dr.in Bernadette Becsi
Ärztin für Allgemeinmedizin
Für "Ärzte ohne Grenzen" während der Corona-Pandemie 2020-2021 in Kusisa, Demokratische Republik Kongo, im Einsatz
Tel.: +43 1 409 72 76
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Spendenkonto:

Ärzte ohne Grenzen
Erste Bank
IBAN: AT43 2011 1289 2684 7600
BIC: GIBAATWWXXX
Spendeninfos
Veranstaltung 50 Jahre Menschlichkeit - Ein Abend für "Ärzte ohne Grenzen" 16.12.21

Weitere Info-Links:

Medecins sans frontieres
Einsatz für Ärzte ohne Grenzen (Planet Wissen, 2020)
Zur Frage des humanitären Kolonialismus (Andrea Böhm, Die Zeit, 2020)
Rassismus und Ungleichheit: Agencies üben Selbstkritik (Sabine Balk, E+Z, 2020)
"Schweigen kann töten, darüber reden kann Leben retten": Erfahrungsbericht einer Ärztin über ihren Einsatz in Griechenland
"Ich kann mich nicht an gebrochene Kinderseelen gewöhnen": Eine Psychologin über Auswirkungen der Bedingungen im Geflüchtetenlager Moria auf Kinder und Jugendliche
"Dieser Einsatz ist anders": Als Hebamme im Libanon
Seenotrettung von Ärzte ohne Grenzen (Die Welt 2021)

Buch-Tipps:

Tankred Stöbe, "Mut und Menschlichkeit: Als Arzt weltweit in Grenzsituationen", Fischer Taschenbuch 2019

Andreas Friedrich Lutz, "Menschsein im Krisengebiet: Erfahrungsbericht eines Gesundheits- und Krankenpflegers über die humanitäre Hilfe mit Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Südsudan", Hogrefe AG 2022

Robert Kösch, "Ein Krankenhaus im Kongo: Wie ich bei einem Hilfseinsatz versuchte, die Welt ein bisschen besser zu machen, und warum das gar nicht mal so einfach ist (NGO-Erfahrungsbericht)", Conbook 2021

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