Ex libris

Bücher über seltsame Menschen

Bücher, Menschen, Themen
Moderation: Peter Zimmermann

Spätestens seit Peter Handke wissen wir, was ein Idiot ist. Im antiken Sinn, nicht im landläufigen. Ein Idiot aus dem altgriechischen Idiotes hergeleitet, bezeichnet in der Polis Personen, die sich aus öffentlich politischen Angelegenheiten heraushalten und keine Ämter wahrnehmen, auch wenn ihnen dies möglich ist. Was so entspannt klingt, konnte aber für den, der sich eben gerne aus allem heraushält und ganz für sich leben möchte, zum Problem werden. Der Idiotes galt als Außenseiter, als Sonderling, der für die Gemeinschaft keinen großen Wert hatte. Gab er sich dazu noch dem Müßiggang hin, war auch eine Bestrafung nicht ausgeschlossen.

Der Idiot als Außenseiter oder Sonderling ist allerdings schon lange vor Peter Handke, der diese Bezeichnung übrigens auf sich selbst bezog und lange nach der griechischen Antike in Gebrauch. Bei Dostojewski etwa, dessen Idiot nicht einen dämlichen Menschen bezeichnet, sondern einen, der nirgendwo dazugehört, der zu naiv ist für die gesellschaftlichen Ränkespiele, der die Konventionen außer Acht lässt und dafür bestraft wird. Oder bei Jean-Paul Sartre, dessen Flaubert Studie "Der Idiot" den Dichter als ewiges Kind darstellt, von den Eltern missachtet und ungeliebt, und der sich später aus dieser Erfahrung heraus in Parallelwelten flüchtet.

Die Idiotie ist dem Kunstbetrieb immanent. Sie richtet dort keinen Schaden an, sondern ist im Gegenteil der Motor der Produktivität. Das heißt aber nicht, dass die Normabweichung an sich zum Segen der Menschheit gereicht. Sonderlinge, Außenseiter, Idiotes können alles sein - nicht zuletzt eine Bedrohung für ihre Mitmenschen. Nicht einmal gut gemeinte, auf Einebnung der Unterschiede bedachte Diversitätsdiskurse können ihnen etwas anhaben, denn sie sind ihrerseits Grenzfälle einer bereits zur politischen Norm gewordenen Diversität. Als schrullige Groteske, wenn nicht absurde Figuren verweigern sie sich jeder sozialen Anerkennung in ihrer je eigenen Partikularität, empfinden sie Integration und Inklusion als Zumutungen, denen sie sich beharrlich entziehen oder denen sie bestenfalls gleichgültig gegenüberstehen. Damit stellen sie die Übereinkünfte des zeitgenössischen Pluralismus und die Werte des Diskurses in Frage.

In dieser Sendung sprechen wir über seltsame Menschen in Büchern von Gustave Flaubert, Juan Rulfo, Richard A. Bermann, Antonio Scurati und Miljenko Jergovic.

Service

Gustave Flaubert: Memoiren eines Irren, Roman, Hanser Verlag (Übersetzung: Elisabeth Edl)

Juan Rulfo: Unter einem ferneren Himmel, Gesammelte Werke, Hanser Verlag (Übersetzung: Dagmar Ploetz)

Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegl: Die Fahrt auf dem Katarakt, Eine Autobiographie ohne einen Helden, Picus Verlag

Antonio Scurati: M. Der Mann der Vorsehung, Roman, Klett Cotta Verlag (Übersetzung: Verena von Koskull)

Miljenko Jergovic: Der rote Jaguar, Roman, Schöffling & Co (Übersetzung: Brigitte Döbert)

Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann

Übersicht