Franz Grillparzer

Josef Kriehuber - GEMEINFREI

Gedanken für den Tag

Von Gott zu wenig, vom Nächsten zu viel

"Ich freue mich unter Ihnen zu sein ..." - Zum 150. Todestag des österreichischen Schriftstellers und Intellektuellen Franz Grillparzer
von Arno Dusini, Germanist

Die maßgebliche historische Grillparzer-Ausgabe umfasst 33 Bände. Wer dieses Werk überblicken möchte, muss zu ihnen zurück: es reicht weit über die bekannten literarischen Titel hinaus. Nur, dass dieses Werk nur mehr in Bibliotheken zu haben ist. Grillparzer ist, um die Literaturkritikerin Daniela Strigl zu zitieren, "so out, wie er noch nie war". Gleichsam verschollen, ist das intellektuelle Wissen und Selbstbewusstsein einer Epoche, das er verkörpert. Nicht nur eine Geschichte des 19. Jahrhunderts liegt brach, auch nicht nur die entscheidende Vorgeschichte der Wiener Moderne, sondern eine Werkstatt, in der seinen Platz findet, was gesellschaftliche Intelligenz beschäftigen muss: ob literarische, musikalische oder bildende Kunst- und Kulturgeschichte, ob Historie, Staat, Gesellschaft oder Recht, ob Naturwissenschaft, Mythologie, Philosophie, Psychologie oder Anthropologie - Grillparzers Werk ist eine reflektierte Enzyklopädie der Zeit.

Vor allem aber ist es eine Schule des konkreten Denkens: Widerspruch nimmt es auf oder hält es aus; Positionen, werden sie nicht geteilt, erfahren Respekt noch in ihrer Abweisung. Ein winziges Beispiel nur, nahezu unüberbietbar in seiner Strahlkraft, so man es etwa auf unsere Informationsgesellschaft umlegt, die zur Datengesellschaft mutiert ist.

1852 liest Grillparzer in den Memoiren einer französischen Adeligen und Intellektuellen des 18. Jahrhunderts. Ohne Kommentar notiert er: "Die Marquise von Crequy, eine sonst sehr religiöse Frau, sagte: "Um Gott über alles und den Nächsten wie mich selbst zu lieben, weiß ich von Gott zu wenig und von meinem Nächsten zu viel." Ist diese Formulierung, vor dem Hintergrund einer brachialen Spannung zwischen Informationsfreiheit und Überwachung, nicht großartig? Stellt sie nicht die Frage nach dem Wissen über eine Person in subtilster Weise? Von jemandem zu wenig wissen, von jemandem zu viel, was heißt das? Und was heißt dieses Zuwenig oder Zuviel für die Formen und Möglichkeiten unserer Beziehungen, für die "Liebenden", vielleicht aber auch einfach nur für die Sozialen?

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Kyrre Kvam
Gesamttitel: TATORT - GRENZFALL
Titel: Tatort Grenzfall 11
Ausführende: Kyrre Kvam
Länge: 01:24 min
Label: ORF-Enterprise Musikverlag

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