APA/DPA/SINA SCHULDT
Medizin und Gesundheit
Deutlich mehr Fragen als Antworten - Die vielen Gesichter von Long Covid
10. Februar 2022, 16:05
Viele Organsysteme können betroffen sein
Anhaltende Lungenprobleme, neurologische Beeinträchtigungen, Belastungsintoleranz - das sind drei häufige Symptome, die Liste ist sehr viel länger.
Eine neue Studie der Meduni Innsbruck untersuchte Covid-Erkrankte auf Langzeitfolgen. Drei Viertel dieser Personen wurden mit einem schweren Verlauf im Spital behandelt. Das Ergebnis: Die Hälfte der Probanden hatte sechs Monate nach der akuten Infektion noch immer mit Atembeschwerden und Abgeschlagenheit zu kämpfen. Bei einem Großteil jener, die auf der Intensivstation gelegen sind, zeigten sich weiterhin Veränderungen an der Lunge. Auch in der Gruppe mit den leichten Verläufen waren 20 Prozent von Lungenbeschwerden betroffen.
Darauf sind wir nicht vorbereitet
Die Wartezeiten auf einen Termin bei Spezialisten und ausgelastete Rehabilitationskliniken zeichnen ein ähnliches Bild: Viele sind von Long Covid betroffen. In Österreich dürften es laut Schätzungen 60.000 bis 90.000 Personen sein. Auch junge, ehemals fitte Menschen, ohne Vorerkrankungen, sind davor nicht gefeit. Und mittlerweile hört man auch von immer mehr Kindern und Jugendlichen, die noch Monate nach ihrer Erkrankung unter Gedächtnisstörungen, Darmbeschwerden und extremer Erschöpfung - bekannt als Fatigue Syndrom - leiden.
Selbsthilfegruppe erhält großen Zulauf
Die Mitgründerin der Selbsthilfegruppe "Long Covid Austria" Alexa Stephanou erhält täglich unzählige Anfragen. Aktuell suchen rund 1.500 Mitglieder in der Gruppe rat. Sie selbst erkrankte zu Beginn der Pandemie schwer an Covid-19 und leidet immer noch unter Spätfolgen. Zwar haben sich rund eineinhalb Jahre nach der akuten Erkrankung viele Symptome gebessert, ihr derzeitiges Leben ist aber mit jenem vor der Erkrankung nicht zu vergleichen.
Man hätte es wissen können
Für den Neurologen Dr. Michael Stingl ist diese Entwicklung keine Überraschung: Auch bei anderen Infektionen kann die Rekonvaleszenz-Phase sehr lange dauern. Hinzu kommt, dass es sich um ein neuartiges Virus handelt, das unser Immunsystem nicht kennt und unglaublich viele Menschen gleichzeitig betrifft. "Es war spätestens nach dem ersten Corona-Winter klar, dass da was kommen wird. Aber man hat geschlafen", so der Long Covid Spezialist.
Rehabilitation wirkt bei Herz- und Lungenproblemen sehr gut
Der ärztliche Leiter der ambulanten pneumologischen Rehabilitation in der Therme Wien Med Dr. Ralf Harun Zwick nennt Long Covid ein "grausames Chamäleon". Denn die Symptome sind breit gefächert und können den ganzen Körper betreffen. Um allen Long Covid Patienten eine entsprechende Behandlung bieten zu können, werde es zukünftig wichtig sein, Betroffene in Gruppen einzuteilen. Während bei Patienten mit Herz- und Lungenproblemen eine klassische Rehabilitation eine hohe Erfolgsquote hat, ist sie bei Betroffenen mit einer Belastungsintoleranz (PEM) wenig hilfreich und kann sogar dazu führen, dass sich der Zustand verschlechtert.
Neue Leitlinie soll Allgemeinmediziner unterstützen
Da Symptome wie Erschöpfung, kognitive Probleme und Kurzatmigkeit nicht gemessen werden können, wird vielen Betroffenen nicht geglaubt. Da dem Fatigue Syndrom lange Zeit wenig Beachtung geschenkt wurde, ist es im niedergelassenen Bereich nicht sehr bekannt. Das soll sich durch eine neue Leitlinie und Fortbildungen ändern. "Long Covid Austria" kritisiert, dass Betroffene nicht in die Entwicklung der Leitlinie eingebunden wurden. Die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, die diese herausgegeben hat, beteuert, dass sie weiterentwickelt wird.
Für viele Alltag und Job nicht mehr bewältigbar
Viele Long Covid Betroffene schaffen es nicht mehr, ihren Alltag zu bewältigen oder ihren Beruf wieder aufzunehmen. Kinder und Jugendliche können nicht mehr am Unterricht teilnehmen - die Folgen sind unvorstellbar. Was wird mit den rund 15.000 Menschen, die laut ÖGK in den letzten Monaten mit der Diagnose "Long Covid" im Krankenstand sind, zukünftig geschehen? Bei Personen, die am Fatigue Syndrom leiden, spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Denn wird lange versucht, der Erschöpfung zu trotzen, anstatt mit den verbliebenen Kräften sparsam umzugehen, kann sich die Erschöpfungssymptomatik chronifizieren und zum Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) entwickeln. Abgesehen von den persönlichen Tragödien hat das auch wirtschaftliche Konsequenzen, wenn viele, junge Arbeitskräfte einer Gesellschaft wegbrechen.
Moderation: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA
Redaktion: Dr. Christoph Leprich
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Zu Gast im Funkhaus Wien:
Alexa Stephanou
Logopädin und Flugbegleiterin
von Long Covid betroffen
Mitgründerin Selbsthilfegruppe und Verein Long Covid Austria
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Gäste am Telefon:
Dr. Michael Stingl
Facharzt für Neurologie
Fachzentrum Votivpark
Garnisongasse 7/13
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Tel.: (01) 402 22 22
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Dr. Ralf Harun Zwick
Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Lungenkrankheiten
Ärztlicher Leiter der ambulanten pneumologischen Rehabilitation Therme Wien Med,
Kurbadstraße 14
A-1100 Wien
Tel.: +43/(0)1/68009-9400
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Anlaufstellen und Info-Links:
Was ist Long Covid?
Anlaufstellen und Ambulanzen für Betroffene
Ambulantes Programm für Post Covid-19 Patienten Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien
Anlaufstelle für Long Covid bei Kindern: Kinder- und Jugendambulanz Klinik Ottakring
Rehabilitation für Kinder und Jugendliche mit Long Covid im Kokon Bad Erlach und Rohrbach-Berg
Infoblatt "Rehabilitation und Long Covid"
Infoblatt "Fatigue und die Verschlimmerung der Symptome nach Anstrengung
Selbsthilfegruppe CFS Hilfe Österreich
Zusammenhang Long Covid und ME/CFS
Psychische Begleitung von Long Covid Patienten und deren Angehörigen
Projekt "Aufatmen" - ein Atem- und Musikprogramm für Long Covid Betroffene
Kurze Überblicksvideos: 7 Fragen an Dr. Ralf Harun Zwick zum Thema Long Covid
Studie Meduni Innsbruck: Risikoeinschätzung für CoV-Langzeitfolgen
Long Covid Risiko auch bei Omikron
Uniklinik Erlangen: Long Covid Medikament "BC 007"
Buch-Tipp:
Jördis Frommhold, "Long Covid. Die neue Volkskrankheit", C.H.Beck 2022
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