"Diagonal" zum Thema Hexen

12. Februar 2022, 17:05

Hexen sind imposante Projektionsfiguren. Sie lassen sich kulturell beliebig drehen. Von der Göttin aus dem Totenreich, der Dämonin, der machtbeflissenen Intrigantin bis zur selbstbestimmten, weisen Frau können Hexen alles sein. Denn Gesellschaften suchen so beharrlich nach Sündenböcken für ihr Unglück wie nach Zeichen ihrer spirituellen Macht und Vitalität. Hexen suggerieren weibliche Unangepasstheit, sind assoziiert mit Magie, sexueller Widerspenstigkeit und langem, oft rotem Haar, mit wallenden Kleidern und Wissen, das okkulten Quellen und geheimen Codes entspringt. Im Märchen sind sie meist abgrundtief böse und kannibalistisch gezeichnet. Seit dem 19. Jahrhundert reiten sie auf Besen und dominieren den Verdischen Opernchor, seit dem 20. Jahrhundert erleben sie eine zauberhafte Verniedlichung.

In der brutalen Realität des Patriarchats und der westeuropäischen Kirche wurden der Hexerei Verdächtigte jahrhundertelang verfolgt und verbrannt. Doch, ist das Vergangenheit? Auch wenn aus der "bösen Hexe" in der Fantasy- und Kinderliteratur längst eine gute geworden und in der Esoterikszene und Wiccabewegung mit Welt- und Kräuterwissen gewappnete Frauen wandeln, so lassen in Afrika Ritualmorde wegen Schadenzaubers ebenso aufhorchen wie der Exorzismus-Boom unserer Corona-Gegenwart.

Die Schweizer Essayistin Mona Chollet kürte die Hexe mit ihren Bestseller 2020 jedenfalls zur neuen feministischen Leitfigur: "Die Hexe verkörpert die von jeglicher Dominanz, von jeglichen Begrenzungen befreite Frau; sie ist ein anzustrebendes Ideal, sie weist den Weg" ("Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen", Edition Nautilus).

Mit Beiträgen von Nada El-Azar, Petra Erdmann, Dominique Gromes, Ursula Mürling-Darrer, Klaus Nüchtern, Astrid Schwarz und Katharina Wagner.

Präsentation: Nicole Dietrich

Service

Silvia Federici, "Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkulumation.", Mandelbaum Verlag, Wien, 2021

Silvia Federici, "Hexenjagd. Die Angst vor der Macht der Frauen.", Unrast Verlag, Münster, 2020

Mona Chollet, "Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen", aus dem Französischen übersetzt von Birgit Althaler, Nautilus Flugschrift, 2020

Wolfgang Behringer, "Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung.", Ch. Beck, 2020

Walter Rummel, Rita Voltmer, "Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008/2012

Manfred Tschaikner, "Damit das Böse ausgerottet werde", Hexenverfolgungen in Vorarlberg im 16. und 17. Jahrhundert, Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Band 11, 1992

Vivianne Crowley, "Wicca - Die alte Religion im neuen Zeitalter", aus dem Englischen von Michael de Witt, Edition Ananael, 2004

Catherine Lemieux, "Die Teufelskirsche", in: Manuskripte 231, 2021

Monica Titton, "The season oft he witch", in: Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl, "Seasonal Greetings", Kunsthaus Bregenz, 2021

Yvonne Schaffler, "Vodú? Das ist Sache der anderen! Kreolische Medizin, Spiritualität und Identität im Südwesten der Dominikanischen Republ|ik", LIT, Wiener ethnomedizinische Reihe, 2009

Joana Adesuwa Reiterer, "Hexenkind", Edition a Gmbh, 2011

Lost Element. Re-Construction of the Witch, Ausstellung

SPIEGEL Geschichte-Podcast: Weise Frauen und Hebammen? Mythen und Wahrheit über die Hexenverfolgung

Verein Exit

Aus rechtlichen Gründen kann "Diagonals feiner Musiksalon" nicht zum Download angeboten werden.

Sendereihe

• Diagonal

Gestaltung

• Nicole Dietrich

Übersicht

• 7 Tage Kultur