Eine Pflegerin wäscht ihren Patienten.

APA/HELMUT FOHRINGER

Medizin und Gesundheit

Die Arbeit der 24-Stunden-Betreuerinnen

Unverzichtbar und trotzdem nicht gewürdigt


Es ist eigentlich ein Skandal: Die 24-Stunden-Betreuung ist im heimischen Pflegesystem eine der wichtigsten Säulen und dennoch werden Betreuerinnen nicht dementsprechend gewürdigt. Im Gegenteil: Sie finden sich in einem System wieder, das Ausbeutung ermöglicht und sind vom arbeitsrechtlichen Schutz ausgenommen. Corona-Förderungen konnten die meisten 24-Stunden-Betreuerinnen nicht in Anspruch nehmen, da man dafür ein österreichisches Konto benötigt. "Eine klare Diskriminierung!" sagt die IG24 dazu. Die Interessensgemeinschaft der 24-Stunden-Betreuerinnen wurde 2020 gegründet. Anna Leder ist eine der Initiatorinnen. Der Verein informiert Betreuerinnen in ihrer Muttersprache darüber, welche Rechte und Pflichten sie haben, betreibt Lobbyarbeit und initiiert Projekte.

Großes Problem Scheinselbstständigkeit

In Österreich sind rund 60.000 Personenbetreuerinnen registriert. Meist wechseln sich zwei Arbeitskräfte in einem zwei Wochen Turnus ab. Durchschnittlich geben die Familie 2.500 Euro für die Live-in-Betreuung aus. Als Selbstständige sollten 24-Stunden-Betreuerinnen theoretisch Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit selbst wählen können. Die Aushandlung der Bedingungen übernehmen in der Praxis aber die Vermittlungsagenturen. Daher spricht die Soziologin Univ.-Prof.in Dr.in Brigitte Aulenbacher, die eine Studie über die Situation der Personenbetreuung in Österreich, Deutschland und der Schweiz gemacht hat, von "Scheinselbstständigkeit". Die Betreuerinnen - großteils aus dem Osten Europas - haben keinen bezahlten Krankenstand oder Urlaub und auch die ihnen zustehenden Pausen sind schwer zu konsumieren, wenn man weiß, dass die bettlägerige alte Dame im Zimmer nebenan eigentlich permanent Hilfe benötigt.

Raum für Grenzüberschreitungen gegeben

Dass der Arbeitsort gleichzeitig der Wohnort ist, stellt eine besondere Situation dar: Die Betreuerinnen begeben sich in eine gewisse Abhängigkeit und es gibt keine Kontrolle von außen. So kommt es dazu, dass manche Betreuerinnen andere Aufgaben abseits der Betreuung, wie beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Garten, übernehmen müssen.
Die IG24 berichtet von Fällen, in denen sich Betreuerinnen an sie gewandt haben, die mit sexuellen Übergriffen und Gewalt konfrontiert waren.

Agenturen haben Machtposition

Zwar haben viele Agenturen nach den Richtlinien des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ein Qualitätszertifikat auf freiwilliger Basis. Dieses sagt jedoch nichts über die Arbeitsbedingungen der Betreuerinnen aus. Es geht dabei lediglich um das Übereinkommen zwischen den betreuten Personen und der Agentur. Die Agenturen erwecken den Anschein, als wären sie der Arbeitgeber der Frauen. Das ist aber nicht der Fall. Vermittlungsagenturen sind aus arbeitsrechtlicher Sicht genauso Unternehmen wie die Betreuerinnen - diese gelten als Ein-Personen-Unternehmen. Gibt es also Probleme, stehen die Agentur und die Betreuerin in einem Konkurrenzverhältnis. Die scheinbare Gleichberechtigung existiert demnach nur auf dem Papier. Christian Leitner, der Projektleiter von CuraFAIR, einer Anlaufstelle für 24-Stunden-Beteuerinnen der Volkshilfe, sieht das als eines der größten Probleme. Sollte es im Zuge der Pflegereform zu einer verpflichtenden Zertifizierung der Agenturen kommen, müssten in diese auf jeden Fall die Arbeitsbedingungen der Betreuerinnen miteinfließen.

Es geht auch anders

Vorarlberg hat die 24-Stunden-Betreuung anders als der Rest Österreichs geregelt. Der Betreuungspool Vorarlberg, eine gemeinnützige GmbH, in der Hand des Landes, vermittelt die Betreuerinnen an die Familien. Es gibt keine Agenturen, viele Problemfelder fallen dadurch weg. Dieses Modell ist einerseits für die Personen, die Betreuung benötigen, günstiger und andererseits bekommen die Frauen faire Löhne. Für die Geschäftsführerin vom Betreuungspool Vorarlberg, Waltraud Bilgeri, ist es wichtig, sowohl für die Betreuerinnen als auch die Familien Ansprechpartner zu sein: "Wir sehen uns als Brückenbauer zwischen Osten und Westen."

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Arbeiten Sie als 24-Stunden-Betreuerin?

Was haben Sie erlebt?

Haben Sie das Gefühl, Ihre Arbeit wird ausreichend gewürdigt?

Was müsste sich an dem System ändern?

Nehmen Sie oder Ihre Familie 24-Stunden-Betreuung wahr?

Wurde das Arrangement über eine Agentur organisiert?

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

Univ.-Prof.in Dr.in Brigitte Aulenbacher
Institut für Soziologie
Johannes Keppler Universität Linz
Altenberger Straße 69
4040 Linz
Tel.: +43 732 2468 7742
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

Christian Leitner
Projektleitung CuraFAIR der Volkshilfe OÖ
Stockhofstraße 40
4020 Linz
Tel.: +43 732 7707 5065
E-Mail
Homepage

Anna Leder
Initiatorin und Vertreterin IG24 Interessensgemeinschaft der 24-h-Betreuer_innen
E-Mail
Homepage

Waltraud Bilgeri
Geschäftsführung Betreuungspool Vorarlberg
Tel.: +43 5572 38 656 8
E-Mail
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24-Stunden-Betreuerin aus Rumänien

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Studie: Gute Sorge ohne gute Arbeit? Live-in-Care in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Crowdfunding-Kampagne der IG24 für einen Prozess gegen Scheinselbstständigkeit
Qualitätsstandards Initiative Hilfswerk
Amnesty International: 24-Stunden-Betreuer*innen in Österreich: "Wir wollen nur ein paar Rechte"
Petition Amnesty International "Gemeinsam für faire Arbeitsbedingungen in der 24-H-Betreuung"
Prozess zu 24-Stunden-Betreuung in Deutschland
Arbeit & Wirtschaft: 24-Stunden-Betreuung: ziemlich allein gelassen
Orf.at: 24-Stunden-Betreuerinnen: Ruf nach Ende der "Ausbeutung"
Moment: 24-Stunden-Betreuung in Österreich: Ausländische Kräfte kämpfen während der Coronakrise mit alten Problemen und Belastungen
Portrait einer ehemaligen Betreuerin

Sendereihe