Oloid, Hörspielpreis

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Ö1 Kunstsonntag: Radiokunst - Kunstradio

Das beste Originalhörspiel des Jahres 2021

Österreich 1 hat Kulturjournalistinnen und -journalisten eingeladen das, ihrer Ansicht nach, "künstlerisch anspruchsvollste und ansprechendste" Originalhörspiel des Jahres auszuwählen. Der Ö1 Hörspiel Preis für das Beste Original Hörspiel wurde am 25. Februar 2022 im Rahmen der Ö1 Hörspiel-Gala on air verliehen.

Ausgezeichnet wurde "Manifest 58 / IRGENDWOHER" von FALKNER. Ausgewählt aus 14 ORF Produktionen des Jahres 2021 von einer Fachjury aus den Kulturjournalistinnen und - journalisten Margarete Affenzeller (Der Standard), Daniel Hadler (Kleine Zeitung), Hedwig Kainberger (Salzburger Nachrichten), Norbert Mayer (Die Presse) und Stefanie Panzenböck (FALTER).

Die Szenerie alptraumhaft dicht, fantastisch, kühn. Hyperrealistisch. Windig. Ein archaischer Ton. Das Prinzip Setzung. Sprache, Tempo und Rhythmus als Verfahren.

IVAN, ein junger Mann, irrt umher, kann nicht fassen, stellt uns Fragen: eine Anklage in vielen Strophen. Heftig, leidvoll und illusionär. Ivan hat seinen Vater und seine Mutter getötet, will wissen, wer ihm aufgetragen hat zu töten. Ein Herausfinden-wollen, was es war, das ihn dazu veranlasste zu töten, und der zu sein, zu dem man dadurch wird. Ivan schildert von einer Schwelle. Wie es ist, an dieser ungeschützten Stelle zu stehen, dieser Unendlichkeit des Noch-Nicht und der Unendlichkeit des Nicht-Mehr. Ivans Last des Alleinseins. Einer, der seinen Platz nicht mehr finden kann, und dass das, was er sucht, trotz des "Rufes", der ihn zum Suchen auffordert, womöglich gar kein "wo" hat. Mit wem spricht, wen adressiert Ivan in "Manifest 58 / IRGENDWOHER" wirklich? Einfach nur uns Hörer und Hörerinnen? Oder vielmehr seinen Daimon? Hält er Zwiesprache mit seinem Daimon? Die Flucht des Einsamen zum Einsamen? Ist es eine Gestalt, die ihm hilft, der eigenen extremen Situation Herr zu werden?

Verwoben wird diese Anklage, diese Suche, mit Szenen, die von der Begegnung der kindlichen Persona von Ivan mit Vater erzählen. Diese Szenen am Bett des schlafenden Vaters sind Appelle an die Liebe, an die Zuwendung, gekennzeichnet von großer Sehnsucht nach Berührungen durch diesen Vater. Diese Berührungsfantasien ufern aus. Körperteile verrutschen. Bisswunden. Ein Auseinanderfallen und Ineinanderfallen in der Umarmung. IVAN, DAS KIND kippt hin und wieder in manchen Lauten ins nur ganz leicht Wölfische, verlässt die Grenze menschlicher Verhaltensweisen unvermittelt, fast unmerklich. Das Kind, wunderbar, verstörend, tief verzweifelt. Unschuldig. Und: auf den Wolf als Ahnen bestehend!

"Yearning Creatures" als Grundverfasstheit von Ivan, Ivan, dem Kind und dem SAXOPHON, der dritten Ebene. Das Saxophon als sehnsüchtiges, rufendes Instrument, "als Spur und Nachhall des Inneren" (Michael Lentz). Der Klang des Saxophons inkarniert hier eine weitere Person, ein Wesen, einen Körper, eine Hand, den Atem. Das Saxophon als Verbündeter! Michael Lentz spielt und verkörpert dieses Saxophon.

Ivan, Ivan, das Kind, das Saxophon. Eine Gleichzeitigkeit. Phantasmagorisch ineinander verschoben. Eine Verschiebung auch der Realitäten des Hörers. Große, abseitige, wuchtige Szenen. FALKNERs Manifeste arbeiten immer mit der Rezeption. Rhythmisch. Nackt. Die Kargheit des Systems hörbar machen. Nicht verwunschen, sondern radikal. (FALKNER)

Service

"Manifest 58 / IRGENDWOHER"
von FALKNER

mit Musik/Saxophon von Michael Lentz
Stimmen: Janina Stopper und Max Gindorff
Tongestaltung: Martin Leitner und Manuel Radinger
Regieassistenz: Julia Herzog

Ö1 Kunstradio

Sendereihe