Ein Porträt von Pier Paolo Pasolini hängt in einer Ausstellung

AP/MARKUS SCHREIBER

Gedanken für den Tag

"Der unbändige Ketzer - Zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini" von Otto Friedrich, Religionsjournalist und Filmkritiker bei der Wochenzeitung "Die Furche"

Entwürfe einer Apokalypse

Zu vier Monaten auf Bewährung wurde Pier Paolo Pasolini 1963 in Rom für seinen Kurzfilm "La Ricotta - Der Weichkäse" verurteilt - wegen "Verunglimpfung der Staatsreligion".

"La Ricotta" ist eine Persiflage auf Bibelverfilmungen: Eine unbegabte Filmtruppe stellt unter Leitung eines von Orson Welles gespielten Regisseurs die Kreuzigungsszene zweier Renaissancemaler filmisch nach: ein absurdes Scheitern. Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte von Stracci, dem Komparsen des rechten Schächers, der seine Familie kaum ernähren kann. Nach vergeblichen Versuchen, an Essen zu kommen, stopft dieser Stracci einen Laib Ricotta in sich hinein, um danach für die Filmszene wieder aufs Kreuz zu steigen, wo er elendiglich krepiert. Die beißende Sozialkritik Pasolinis geht auf, indem die Staatsmacht ihm den Prozess macht.

Interessant allenfalls, dass die katholische Kirche den Film nicht verbot - der Prozess wurde von rechten politischen Kräften angezettelt, die Pasolini lebenslang nachstellten.

Kirchlichen Protest gab es hingegen gegen den Film "Teorema" 1968. Nicht mehr das Subproletariat ist das Anschauungsobjekt Pasolinis, sondern die Bourgeoisie: Eine Fabrikantenfamilie wird von einem geheimnisvollen Gast heimgesucht, der mit allen Frauen wie Männern sexuell verkehrt - und sie nach seiner Abreise orientierungslos zurücklässt. Diese göttliche Gestalt sehen katholischen Obere als Blasphemie an, während die katholische Filmorganisation "Teorema" bei den Filmfestspielen in Venedig auszeichnet.
In Pasolinis Gedicht "Patmos" aus 1970 heißt es:

. ich habe nicht vor, die ganze Apokalypse zu schreiben:
Ein Entwurf soll reichen;
ebenso die Ideen, sie auszusprechen genügt: sie umzusetzen ist überflüssig.
Inmitten des Industriezeitalters
bestellen wir also die Erde mit unseren Händen und einer einzigen Arbeitskraft ...

Service

Buchhinweis
Patmos. In: Pier Paolo Pasolini: Nach meinem Tod zu veröffentlichen. Späte Gedichte. Aus dem Italienischen von Theresia Prammer. Suhrkamp. Berlin 2021


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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Stefano Battaglia geb.1965
Vorlage: Pier Paolo Pasolini 1922 - 1975
Album: RE: PASOLINI
Titel: Teorema/instr.
Solist/Solistin: Stefano Battaglia
Ausführender/Ausführende: Michael Gassmann
Ausführender/Ausführende: Mirco Mariottini
Ausführender/Ausführende: Aya Shimura
Ausführender/Ausführende: Salvatore Maiore
Ausführender/Ausführende: Roberto Dani
Länge: 10:41 min
Label: ECM Records 1998/99 / 1716738 (2 CD)

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