Rainald Grebe - Die Ordnung und das Chaos

17. April 2022, 09:05

Die vor fünf Jahren nach einer Serie kleiner Schlaganfälle diagnostizierte Fragilität seines Kreativzentrums - und seines Lebens - gibt ihm zu Denken: über sein künstlerisches und persönliches Werden und Wirken, das Woher und das Wohin, das Einst und das Demnächst. Denn das Jetzt ist ja schon wieder gerade vorbei. Geistesgegenwärtig macht sich Grebe Gedanken - gesprochen und gesungen. Denn als Chansonnier versteht er es wie nur wenige, seine inhaltlichen Anliegen auch zu Liedern zu verdichten.

Rainald Grebe, Jahrgang 1971, ist einer der umtriebigsten und rastlosesten Tausendsassas im Kulturbetrieb: Kabarettist und Liedermacher, Darsteller und Regisseur, Musiker und Hörspielautor, Dramatiker und Poet. Ein multitalentierter Spielmacher, der seine ausdrucksstarke Kunst auf allen erdenklichen Bühnen auslebt: in Fußballstadien, renommierten Theatern und in Kleinkunstkellern, im Fernsehen, im Radio und im Internet. Mal steht er ganz alleine im Rampenlicht, mal veranstaltet er Konzerte mit 300 Beteiligten. So vielseitig und dabei so erfolgreich bespielt und bestückt kaum ein anderer die Bühnen im deutschsprachigen Raum.

Im Jänner hatte im Wiener Volkstheater seine "rasante und hoch komische Revue" (Kleine Zeitung) über einen identitätsstiftenden österreichischen Mythos Premiere: "Ach, Sisi - Neunundneunzig Szenen". Mit spielfreudiger und präziser Hilfe eines großartigen Ensembles gelang ihm eine "moderne Volkskomödie in unserer Zeit der schnellen Schnitte" (Wiener Zeitung) und "ein wunderbarer Abend: Komisch, grotesk, schräg, laut, wirr, klug, politisch, dämlich" (Süddeutsche Zeitung). Ab Mai will er wieder auf Tour sein - als Solokabarettist mit seinem Programm "Das Münchhausen-Konzert" und mit der Band "Fortuna Ehrenfeld", mit der er seine im Vorjahr erschienene CD "Popmusik" eingespielt hat. Im September beginnen dann die Proben am Staatsschauspiel Dresden für seine Inszenierung der Geschichte des "Baron Münchhausen".

So steht es zumindest in seinem Kalender. Bisher ist sich das Jahr aber wenig an Grebes Planung gehalten. Im Februar haben ihn neuerliche Schlaganfälle wochenlang außer Gefecht gesetzt. Den ganzen März über hätte er eigentlich auf Lesereise sein wollen - mit seiner im Herbst erschienenen Biografie "Rheinland Grapefruit. Mein Leben": eine inhaltlich und grafisch fantastisch verblüffendes Buch (Voland & Quist), in dem er Fakten mit Fiktionen, Erinnerungen mit Erfindungen, Geschichten mit G'schichterln zu einer bewegenden und aufwühlenden Lektüre verschachtelt. Nicht zuletzt deshalb, weil das Damoklesschwert, das ihn seit fünf Jahren bedrohlich begleitet, in Form von Tagebucheinträgen über seinen Alltag in der Reha-Klinik ständig präsent ist.

Rückblick: Im März 2017 hat Grebe während eines Auftritts plötzliche massive Blackouts. Hirninfarkt. Nach einer Erholungspause geht er wieder auf Tour. Doch im Jänner des Vorjahres ereilen ihn abermals in kurzen Abständen sechs kleine Schlaganfälle. Diagnose: Kleingefäßvaskulitis, eine tückische Autoimmunerkrankung, die jederzeit wieder auftreten kann. Ihre Auswirkungen sind mannigfaltig, je nachdem, in welcher Gehirnregion sie zuschlägt: von Gleichgewichtsstörungen über Tinnitus bis hin zu schweren Wahrnehmungsstörungen und Aussetzern. "Stromausfälle im Oberstübchen", wie sie Grebe selbst lakonisch nennt.

Für Grebe, diesem stets unter kreativem Starkstrom stehenden Workaholic, kein Grund planmäßig kürzer zu treten, aber doch, ein paar Aspekte seines irdischen Daseins aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Doch es gibt ja noch so viel zu tun. Einen Film hat Grebe zum Beispiel noch nicht gedreht. Allerdings aus vielen gute Gründen. Viel lieber möchte er schon bald sein erstes Kinderbuch schreiben. Das muss jetzt sein. Denn die Zeit läuft. Aber Grebe ist schneller. Lauf, Rainald, lauf!

Service

Homepage: Rainald Grebe

Bühne: "Ach, Sisi - Neunundneunzig Szenen" von Rainald Grebe (Autor & Regie), Volkstheater Wien - am So 17.4., Sa 30.4., Do 12.5., Mi 18.5. und Fr 27.5.

Bühne: "Baron Münchhausen" von Rainald Grebe (Autor & Regie), Staatsschauspiel Dresden, Premiere im Oktober

CD: "Popmusik" von Rainald Grebe & Fortuna Ehrenfeld, Tonproduktion Records (Rough Trade)

Sendereihe

• Gedanken

Gestaltung

• Peter Blau