
APA/DPA/FRANK RUMPENHORST
Medizin und Gesundheit
Giftig und gefährlich - Pestizidrückstände in Nahrungsmitteln
21. April 2022, 16:05
Auf dem Apfel und der Tomate, im Honig, sogar in der Luft und im Trinkwasser - überall lassen sich Spuren von Pestiziden nachweisen. Die Erkenntnis, dass sich Pestizidrückstände negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken, ist nicht gerade neu. Und seit Jahren ist auch bekannt, dass Pestizide direkt mit dem Rückgang der Artenvielfalt und der Kontaminierung von Gewässern in Verbindung stehen.
Und trotzdem sind diese Substanzen allgegenwärtig: in der Landwirtschaft, in den Gärten und im Park. Sie werden überall dort eingesetzt, wo sogenannte Schadorganismen abgewehrt, reguliert oder bekämpft werden sollen. Es geht um die Maximierung von Ernteerträgen, aber auch um Versorgungssicherheit.
Eine Begriffsdefinition
Generell gibt es unterschiedliche Einsatzgebiete bzw. Wirkungen von Pestiziden: Herbizide wirken gegen sogenannte "Unkräuter", Insektizide gegen Insekten, Fungizide töten Schimmelpilze und Mikroorganismen, Akarizide "helfen" gegen Milben, Rodentizide gegen Nagetiere und Molluskizide gegen Schnecken. Pestizide sind also ein Sammelbegriff für viele unterschiedliche Stoffe, die als "Pflanzenschutzmittel" eingesetzt werden. In der konventionellen Landwirtschaft kommen überwiegend chemisch-synthetische Wirkstoffe zur Anwendung.
Fakt ist, dass wir es meist mit einer Kombination mehrerer Wirkstoffe zu tun haben. Und je mehr Wirkstoffe gleichzeitig ausgebracht werden, umso größer ist das Risiko für negative Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere, das Ökosystem - und die menschliche Gesundheit.
Gefahr für die menschliche Gesundheit
Im "Pestizidatlas 2022" spricht Global 2000 von jährlich rund 385 Millionen Pestizidvergiftungen weltweit. Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit können sehr unterschiedlich sein. Pestizide verursachen nämlich nicht nur akute Vergiftungen, sondern können auch chronische Krankheiten auslösen. Wissenschaftliche Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Pestiziden und Morbus Parkinson sowie Leukämie im Kindesalter. Auch ein erhöhtes Risiko für Leber- und Brustkrebs, für Typ-II-Diabetes und Asthma, Adipositas und Allergien wird mit Pestiziden in Zusammenhang gebracht. Ebenso verfrühte Geschlechtsreife, Probleme bei der Fortpflanzung, Fehlbildungen, Frühgeburten und Wachstumsstörungen lassen sich auf Kontakt mit diesen Giftstoffen zurückführen.
Ein politischer Meilenstein?
Das Europaparlament hat vergangenen Oktober mit einer deutlichen Mehrheit für die sogenannte "Farm to Fork-Strategie ("Vom Hof auf den Tisch") der Europäischen Kommission gestimmt. Demnach sollen die europäischen Landwirte die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln sowie Antibiotika in der Tierhaltung um 50 Prozent reduzieren sowie 20 Prozent weniger chemische Düngemittel einsetzen. Zudem sollen in Zukunft mindestens ein Viertel aller europäischen Agrarflächen ökologisch bewirtschaftet werden.
Ukraine-Krise und Nahrungsmittelsicherheit
Die Ukraine zählt zu den wichtigsten Lebensmittelexporteuren der Welt. Nicht nur europäische, vor allem auch afrikanische Länder sind von diesen Ernteerträgen abhängig. Doch wie sollen die ukrainischen und russischen Produktionsausfälle in der Agrarwirtschaft aufgefangen werden? Problematisch ist zudem, dass die Preise für Kunstdünger und Diesel seit Beginn der Kampfhandlungen stark gestiegen sind. Die Notwendigkeit der Nahrungsmittelsicherheit sowohl in Europa als auch in Österreich stellt die grüne Agrarpolitik nun vor ein gravierendes Dilemma. Denn ihr Bemühen um eine weniger industriell geprägte Landwirtschaft, mit weniger Kunstdünger und Pestiziden im Interesse von Klima- und Artenschutz, bedeutet derzeit höhere Preise und niedrigere Erträge.
Problemzone Neonicotinoide
Besonders viel Augenmerk lag in letzter Zeit auf den sogenannten "Neonicotinoiden". Das sind weltweit in der Landwirtschaft breitflächig eingesetzte Insektengifte. Sie zählen zu den Nervengiften und zu den systemischen Pestiziden, d.h. sie werden über die Wurzel aufgenommen und verteilen sich dann in der gesamten Pflanze. Egal wo saugende oder beißende Insekten die Pflanze anknabbern, sie erhalten eine tödliche Dosis. Die Wirkstoffe erreichen das Nervensystem dieser Tiere, führen zu einer Dauererregung deren Nervenzellen, die Krämpfe und schließlich den Tod der Insekten bedingt. Über Pollen und Nektar werden sie auch von Bienen, Hummeln oder Schmetterlingen "konsumiert". Werden die "eliminiert", sterben wir alle.
Moderation: Dr. Ronny Tekal
Sendungsvorbereitung: Mag.a Dr.in Maria Harmer
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Lydia Sprinzl, MA
Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.
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Wissen Sie ausreichend über Pestizide, um sich risikoarm zu ernähren?
Service
Im Funkhaus Wien:
Dr. Waltraud Novak
Senior Project Leader PestizidReduktionsProgramm (PRP)
Projektleiterin Pestizide und Chemikalien, Team Biodiversität, Landwirtschaft, Ernährung, Chemikalien
Global 2000
Neustiftgasse 36
1070 Wien
Tel: 01 / 8125730
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Am Telefon:
OA Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. med. Hans-Peter Hutter
Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
Kinderspitalgasse 15
1090 Wien
Tel: 01 / 40160-34930
E-Mail
Homepage
Info-Links:
Efsa European Food Safety Authority: Definition Pestizide, Erklärvideo
Friends of the Earth Germany: Definition Pestizide
Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Ö: Pestizid-Rückstände in Lebens- und Futtermitteln
AGES: Pflanzenschutzmittel Rückstände
Bundesministerium Landwirtschaft, Regionen und Tourismus: Pestizide im Grundwasser
Umweltbundesamt Österreich: Nitrat und Pflanzenschutzmittel
Ökotest Deutschland: Belastung Lebensmittel
Heinrich-Böll-Stiftung: Pestizide in Lebensmitteln
NABU: Pestizide & Artenschwund / Biodiversität
Greenpeace: Schwarze Liste Pestizide
Heinrich-Böll-Stiftung: Auswirkungen menschliche Gesundheit
Greenpeace: Pestizide machen krank
GLOBAL 2000: Pestizid-Atlas 2022
GLOBAL 2000: PestizidReduktionsProgramm
Ergebnisse der Pesitzid-Untersuchungen auf der Billa-Homepage